: Vom Teufel bis zum Seemannshöft
■ Die Arbeit der Hamburger Hafenbrüderschaft: hochqualifiziert, gutbezahlt und mit einem hohen Maß ab Romantik. Ein e Fahrt mit einem Hafenlotsen
Langsam kommt die riesige Stahlwand näher, sie scheint zu wachsen, bis das rostrote Metall schließlich das gesamte Blickfeld ausfüllt. Nun scheint die Wand zu stehen, doch in Wirklichkeit bewegt sie sich mit acht Knoten elbaufwärts. Heinz Marx greift nach der herabwehenden Leiter aus Seil und klettert mit Ruhe in die Höhe, bis er das sonnenbeschienene Deck der STAR CANOPUS erreicht hat. Dann schaut er nach unten und nickt dem Kapitän des kleinen Bootes, das ihn brachte, noch kurz zu.
Der 180 Meter lange griechische Erzfrachter passiert gegen 14.30 Uhr Teufelsbrück: Jetzt ist er offiziell in den Hamburger Hafen eingelaufen. An Bord des 16 Jahre alten Schiffes sind über 30.000 Tonnen Kupferpulver aus Neuguinea, davon soll ein Drittel in Hamburg gelöscht werden.
Marx kennt die STAR CANOPUS nicht, doch sicher und ohne Zögern findet er durch Gänge und über Treppen den Weg zur Brücke. Ein kurzer Gruß zum „captain“, dann übernimmt er das Kommando. Der Kapitän, im Ringel-T-Shirt und mit Espandrilles an den Füßen, bestellt per Bordsprechanlage noch einen griechischen Kaffee für ihn, dann zieht er sich zurück.
Heinz Marx ist einer von 76 Hamburger Hafenlotsen. Sie haben alle ihr Kapitänspatent gemacht und waren mindestens fünf Jahre „auf großer Fahrt“. Jetzt kalkulieren sie im heimischen Gewässer mit „Tiedefenstern“, „Radar-Reflektionen“, Masseschub, Wasserströmungen und mit dem Wind. Und bekommen dafür ein durchschnittliches Honorar von 11.000 Mark. Dies entspricht einem guten Kapitänsgehalt. Obendrein müssen sie sich nicht - wie ihre Kollegen auf hoher See - immer wieder von der Familie trennen.
Marx, in weißem Hemd und dunkelblauer Hose, braungebrannt und schlank, wirkt nicht wie ein 60jähriger. Seine dichte, weißhaarige Mecki-Frisur läßt ihn ein bißchen spitzbübisch aussehen. Gleichzeitig strahlt er eine Seriosität aus, die einen Kapitän ausmacht. Mit seinen hellen Augen schaut er aus 20 Metern Höhe nach vorne auf die Schiffsspitze, beobachtet wie die STAR CANOPUS reagiert. „Steady.“ Der griechische Maschinist reagiert prompt: „Steady, sir.“ „Midships“ weist er den philippinischen Steuermann an. „Midships, Sir.“ Langsam, mit ungefähr 15 Stundenkilometern und genau mittig zwischen grünen Tonnen und roten Bojen gleitet der rostige Frachter durch das glitzernde Wasser. Zur Rechten das Bubendey-Ufer, zur Linken die Elbchaussee mit ihren weißen Villen, die in viel Grün gebettet friedlich in den Nachmittag hineindösen.
„Das ist 'ne Spazierfahrt,“ sagt Marx, „aber bei Nebel sieht man nur bis zum Kran“. Dabei deutet er auf den ersten der sieben Verladekräne des Frachters, der nur drei Meter von der Brücke entfernt auf dem riesigen Deck steht. „Dann wird's ernst.“ Bei schlechter Sicht helfen ihm seine Lotsen-Brüder in der Station auf dem Seemannshöft. Mit ihren computergestützten Radarschirmen können sie jeden Winkel des Hafens und der Elbe mit hoher Bildschirmqualität und in Farbe überwachen. So können sogar 50 Meter breite Schiffe bei Nacht und Nebel per Funkanweisung durch die 75 Meter weite Fahrrinne dirigiert werden. Doch solche Technik stand den Lotsen nicht immer zur Verfügung.
Schon seit dem 14. Jahrhundert gibt es auf der Elbe Lotsen. Die „Hamburger Pilotage-Ordnung“ von 1656, die älteste deutsche Lotsenregelung, forderte eine staatliche Zulassung der Piloten - so die heute noch gebräuchliche Bord-englische Berufsbezeichnung. Bis 1981 unterstanden die Hamburger Hafenlotsen der Hansestadt, dann gründeten die Männer nach dem Vorbild der See- und Elblotsen die selbstverwaltete „Hafenlotsenbrüderschaft Hamburg“. Ihr gewählter Sprecher, der „Ältermann“, lacht bei der Frage nach Lotsinnen. Natürlich würde man auch Frauen aufnehmen, wenn sich welche bewürben. Doch obwohl der Nachwuchs fehlt, wird in der Lotsenzentrale auf dem Seemannshöft kaum eine Brüder- oder Schwesternschaft entstehen können: Sogar in den fortschrittlichen Niederlanden soll es bislang nur eine einzige Lotsin geben.
„Starboard turn 10“. Der Kompaß der STAR CANOPUS zeigt Ost-Nord-Ost an, doch das Schiff scheint seinen Kurs nicht zu ändern. „Starboard 20.“ Jetzt dreht es stark nach rechts. Die Schlepperboote, die Heinz Marx per Funk angefordert hat, unterstützen das Manöver. Die WILHELMINE und die BUGSIER 18 ziehen das Hinterteil des Massengutfrachters herum, bevor die Ebbe das schwere Schiff an das rechte Ufer des Köhlbrand-Kanals drücken kann. Dann gleitet der rostige Grieche mit seinen 20.000 Bruttoregistertonnen langsam auf die Köhlbrand-Brücke zu, die in der Ferne aussieht wie eine steinerne Girlande, die der Erzfrachter beim Hindurchfahren leicht zerreißen könnte.
Havarien kämen selten vor, erzählt Heinz Marx. In seinen 21 Berufsjahren als Lotse habe er nur einen Unfall verursacht. Beim „rückwärtigen Anlegen an einen Kai sprang der Schub nicht um“, die Schiffsschraube klemmte und der Tanker rammte sich rückwärts in den Pier. Weil ein technischer Defekt den Schaden verursachte, zahlte die Versicherung: ist der Lotse schuld, muß er seinen Beruf aufgeben. Ein verschlafener Einsatz kostet ihn dagegen nur 250 Mark an die Lotsenkasse. Die meisten Unfälle , sagt Marx, gingen auf Fahrten ohne Lotsen zurück.
Vorbei an weidenden Schafherden und den metallisch schimmernden Türmen der Petrochemie schiebt sich die STAR CANOPUS die Süderelbe hinauf, auf die Kattwyk-Brücke zu. „Port 10“, eine geringe Richtungsänderung nach links, und zusammen mit einem kleineren russischen Frachter passiert das Schiff die Hub-Brücke. Zwanzig Meter über dem Wasser winken sich der Brückenwärter und der Lotse zu, sie kennen sich. „Midships, steady.“
In Hamburg werden pro Jahr rund 26.000 mal Lotsen benötigt. Dieser Dienst kostet die Reedereien rund 11 Millionen Mark, die via Schiffsagentur und Wirtschaftsbehörde an die Hafenlotsen weitergegeben werden. Die Brüderschaft teilt das Geld unter den Lotsen zu gleichen Teilen auf. Dabei regelt die „Bört“, der Einsatzplan der Lotsen, daß auch alle gleich viel arbeiten.
Der letzte Teil der Lotsenarbeit steht noch bevor. Der Massengutfrachter muß im „Seehafenbecken zwei“ anlegen, dort, wo der Schiffsmakler mit dem Aktenköfferchen in der Hand schon auf die graue Ladung wartet. „Slow please, starboard 10“, die CANOPUS driftet nach rechts, „die WILHELMINE schon mal nach steuerbord“. „BUGSIER 4 festhalten an backbord“, - die Schlepperboote tanzen um die STAR CANOPUS herum wie Mäuse um eine träge Katze - „BUGSIER 18 vorne nicht mehr holen“, „WILHELMINE gut“. Heinz Marx steht ruhig, aber äußerst gespannt auf der Brücke, sein Funkgerät in der Hand, und beobachtet jede Schiffsbewegung.
„Dead slow“, „die BUGSIER 18 stoppen“, „die BUGSIER 4 an backbord liegen bleiben“. Heinz Marx geht zur rechten Reling und verfolgt mit äußerster Konzentration, wie die STAR CANOPUS allein durch ihren Masseschub an den Pier treibt. Das Schiff zittert und rumpelt ein bißchen, während es durch Taue langsam an die Kaimauer gezogen wird. Dann ist kein Spalt mehr zwischen dem Frachter und dem Kai zu sehen. „Hamburg pilot, STAR CANOPUS, wir sind fest“, meldet Marx dem Wachleiter der Lotsenstation. Dann drückt er dem Kapitän die Hand und fährt mit dem Taxi zurück zum Seemannshöft, wo er auf seinen nächsten Auftrag wartet.
Erst wenn er sein drittes Schiff gelotst hat, ist seine Schicht beendet. Wann dies sein wird, weiß er nicht, vielleicht erst morgen mittag. Dann kann er sich mit dem Lotsenboot zum Anleger nach Teufelsbrück bringen lassen und per Funk vom Wachleiter abmelden: „Marx zum Teufel“.
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