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Im polyphonen Raum

Immer noch ein mehr als tauglicher Kontrast zum JazzFest Das diesjährige Total Music Meeting: Ein Vorbericht  ■ Von Peter Thomé

Einst als Gegenveranstaltung zum JazzFest Berlin konzipiert, ist das Total Music Meeting (TMM) heute mehr denn je ein konkurrenzloses Festival für alle, die die musikalische Provokation der Variation oder der Kopie des Bekannten vorziehen. Selbstverständlich geht es auch im 26. Jahr um improvisierten Jazz, doch anders als in den beiden Jahren zuvor werden anstelle von Ad-hoc-Formationen oder Wunsch-Ensembles herausragender Musiker langjährig arbeitende Combos im Zentrum stehen.

Vor mehr als sechs Jahren debütierte das COWWS-Quintett auf Schallplatte – mit einer Live-Aufzeichnung des legendären Auftritts im Rahmen des „Workshops Freie Musik“. Im Januar '93 empfing dann auch der WDR die Botschaft, daß es sich bei den COWWS um eine Traumbesetzung des europäischen Free Jazz handelt – und produzierte das Quintett. Das O im Namen steht für den jüngst verstorbenen Bassisten Jay Oliver, dessen Spiel selbst ein Arjen Gorter vom Willem Breuker Kollektief kaum vergessen machen wird. Gorter, Rüdiger Carl, Irene Schweizer, Phil Wachsmann und Stephan Wittwer werden zwischen Stilen und Takten wechseln, überraschende Kombinationen herstellen – etwa einen Tango im Dreivierteltakt –, oder Dizzy Gillespies' Blues „Con Alma“ als Trauermarsch zitieren.

In Carls Konzept heißt das schlicht „Songs“, wenn Vertrautes neu zusammengesetzt wird, und er nennt es „Improvisations“, wenn fünf konzentriert kommunizierende Audionauten – bestückt mit drei elektronisch veränderten Saiteninstrumenten, Akkordeon oder Klarinette und dem Piano – eine abenteuerliche Reise in den polyphonen Raum unternehmen.

Ebenfalls von drei „Saiten“ umgeben ist der Klarinettist Louis Sclavis, dem der europäische Jazz wichtige Impulse vermittelt – durch das von ihm mitentwickelte Prinzip der „Folklore imaginaire“. Das musikalische Gedächtnis der Band ist hierbei sowohl Gegenstand der Improvisation als auch der kompositorischen Verdichtung, mit dem Ergebnis einer beinahe kammermusikartigen Präsentation. Ein Schein, der sich beim nächsten Free-Form-Solo allerdings rasch verflüchtigt. Das Acoustic Quartet umfaßt vier Solisten, von denen Bassist Bruno Chevillon und der Geiger Dominique Pifarely schon lange mit Sclavis spielen und das Programm aus französischer Folklore und Great Black Music entscheidend mitgestaltet haben. Marc Ducret an der Gitarre ist virtuos und gerade als Solist eine Verstärkung. Zweifellos ein Höhepunkt des diesjährigen TMM.

Lawrence „Butch“ Morris' Name fällt häufig in einem Atemzug mit seiner Technik der gelenkten, dirigierten Improvisation bei Big Bands, dabei ist der Kalifornier auch ein sensibler Kornettist, der es besonders in Trios mit seinem elektronisch prozessierten Instrument und Percussion versteht, einen synthetischen Sound mit natürlichen Tönen quasi zu beatmen. Der Sound-Designer und Elektroposaunist J.A. Deane, mit dem Morris seit sechs Jahren kontinuierlich arbeitet, und der Percussionist Le Quan Ninh aus Paris werden mit ihm selten gehörte Soundscapes vorstellen, minimale Strukturen im Feld behutsamer Improvisation.

Eher meditativ würde es auch beim Vortrag des Ehepaares Tippet zugehen (beide einst gefeierte Stars des englischen Art-Rock und nun schon lange dem Free Jazz zugetan), wäre da nicht noch der Schlagzeuger Willi Kellers, ein Protagonist der Berliner Improv- Szene. Zu dritt versprechen sie hohe Dynamik in einem Konzert, das – hoffentlich – dem Anspruch an sowohl lyrische Passagen als auch dramatisches Powerplay gerecht wird.

Zwischen Kammerjazz und musikalischer Anarchie bewegt sich das Trio Clusone aus Holland. Als ein Spaltprodukt von Misha Mengelbergs Instant Composers Pool Orchestra Ende der achtziger Jahre gegründet, hat es sich seitdem zu einem Festivalabräumer entwickelt. Das liegt nicht zuletzt an Schlag- und „Schalk“-Zeuger Han Bennink, seit über 25 Jahren innovativ im europäischen Free Jazz. Ob er nun, beileibe nicht nur metaphorisch, ein Feuer an seinem HiHat entfacht, den Bühnenboden mit seinen Stöcken bearbeitet oder vertrackte Polyrhythmen schlägt – Bennink ist genau der richtige mitdenkende Partner für den lange unter Musikern beliebten Saxophonisten und Klarinettenspieler Michael Moore. Der gebürtige Amerikaner bearbeitet äußerst erfrischend Kompositionen von Herbie Nichaols, Paulo Moura und Hermeto Pascoal und steuert mit seinen eigenen Werken auf dem schmalen Grad zwischen willigem Wohlklang und dessen mutwilliger Destruktion. Ernst Reijseger, der sein Cello je nach Bedarf zum Baß, zur Gitarre oder Harfe umfunktioniert, zeigt gerade im Umgang mit dem Bogen beachtliche Fähigkeiten und ankert das Trio.

Der künstlerische Leiter des TMM und Chef der Free Music Production, Jost Gebers, hat jeweils zwei Sets der „Gruppen“, wie er diesen Programmschwerpunkt schlicht nennt, pro Abend vorgesehen. Zu Beginn wird jeweils ein Solosaxophonist auftreten und zwischen den beiden Teilen des Hauptaktes eine Solovokalistin. Ein vielversprechendes Programm, wie immer garantiert frei, bei nicht ganz freiem Eintritt.

Vom 27.-31. Oktober im Podewil, Klosterstraße 68-70, Berlin-Mitte. Dauerkarte: 50 DM

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