: Betr.: "Wer hat Angst vorm Zweiten Arbeitsmarkt" von Helmut Schütte, taz vom 6.10.93
Lösungsvorschläge zu ökonomisch und gerecht verteilter Arbeit sind rar. Helmut Schütte arbeitet daran mit weitgehendem Unrechtsbewußtsein, nennt auch die Probleme geschlechtlicher Arbeitsteilung und zeigt ein ausgeprägtes Unrechtsempfinden, wenn er sagt „nicht zu reden von den psychosozialen und politischen Folgen der gesellschaftlichen Ausgrenzung, die Arbeitslosigkeit darstellt“.
[...] In der Regel bleibt Frauen die sogenannte Reproduktionsarbeit als „Dritter Arbeitsmarkt“. Das wiederum prädistiniert frau insbesondere für den Zweiten Arbeitsmarkt; sie kennt ihn lange, vor allem aus der Perspektive unabgesicherter Teilzeitarbeitsplätze. Es ist bekannt, daß frau nach wie vor ihre Existenz nicht gleichberechtigt absichern kann. Der von H.S. angestrebte Zweite Arbeitsmarkt mit „tarifvertraglicher Verankerung eines Individualrechts auf Teilzeitarbeit“ kann frau daher (gewisse) Erleichterung bringen.
Wem will H.S. also Ängste nehmen? Vermutlich den Männern. Sie scheinen Angst zu haben, in Krisenzeiten auch mal Arbeitnehmer zweiter Klasse zu werden, und der Vollzeitarbeiter soll das auch noch legalisieren und finanzieren? Doch keine Angst – die ganze Sache könnte mann aus Frauensicht auch so verstehen: der Zweite – abzusichernde – Arbeitsmarkt wird teurer (auch wenn der Lohn viel niedriger bleiben soll als im Ersten), aber das ist der Preis für den Erhalt des Ersten mit traditionellen Vollzeitarbeitsplätzen... und wer wird sie wohl einnehmen – na? ...spätestens beim nächsten Aufschwung! Herr Schütte scheint nichts von den wohlausgearbeiteten Konzepten (Frauenbewegung/ Die Grünen) zur gerechteren Verteilung der (gesamten gesellschaftlichen) Arbeit zu halten. Jedenfalls hält er es für einen „untauglichen Versuch“, die Mehrheit von kollektiver Arbeitszeitverkürzung zu überzeugen.
Dennoch, Genosse, die Weltmarktkonkurrenz hat nicht nur mit Technologie, sondern u.a. auch mit „Qualifikation beziehungsweise(!) arbeitskulturellen Einstellungen“ zu tun. Mit den arbeitskulturellen Einstellungen steht's in Deutschland nämlich dämlich schlecht. Spätestens ab 1994 soll nicht sozialversicherungspflichtiges Arbeiten (außer Haus) gegen EG-Recht verstoßen. Gleichzeitig sind die Qualifikationen der Frauen oft gleich und besser, bleibt das „Familienhandikap“ (bei Deiner Frau) ...Genosse. Wenn Du nicht willst, daß der Unternehmer die Frauen gegen uns ausspielt, halte zu ihm, hilf die steigenden Arbeitskosten senken, indem Du zustimmst zu einem noch nie so gut abgesicherten (in der Regel) geschlechtlich geteilten Arbeitsmarkt! Spätestens in der nächsten Krise, wenn die Renten nicht mehr aufzubringen sind, wirst Du froh sein, wenn Frauen weiterhin mitarbeiten und zuverdienen. Merke:
Plus cela change, plus c'est la meme chose... und das geht so: bedingt reinlassen, bei Bedarf rausloben... Der Spielraum scheint dafür enger zu werden, aber um so festgefügter.
Das Individualrecht auf abgesicherte Teilzeitarbeit wird „eine wichtige sozialpolitische Flankierung der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf darstellen“. Das gilt auch für „gesellschaftliche Schlüsselprobleme“, die sich mit Stichworten wie „Altersarmut von Frauen“ und dem „Grundproblem der sträflichen Unterbewertung der Reproduktionsarbeit gegenüber der Erwerbsarbeit“ benennen lassen. Da hält sich der Mann „mit Recht“ beiseite, Qualifikation für die Familienarbeit hat er kaum nachzuweisen. Die Katze beißt sich in den Schwanz, und vaterlosen Gesellen fällt mal wieder nichts anderes ein, als Arbeitseinsatz zu leisten (und zu Hause den Daumen drauf zu halten) – oder? Heilwig Kühne
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