: Gefangenenentlassung tröpfchenweise
Rund 700 Palästinenser sollen aus israelischen Gefängnissen freikommen / Die US-Regierung hofft auf ein Abkommen zwischen Syrien und Israel schon in einem halben Jahr ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Anfang der kommenden Woche sollen rund 700 der in israelischen Gefängnissen sitzenden Palästinenser freikommen. Das vereinbarten die israelische und die palästinensische Verhandlungsdelegation im ägyptischen Taba am Donnerstag abend. Freigelassen werden sollen Gefangene, die jünger sind als 18 Jahre oder älter als 50, sowie Frauen und Kranke. Ausdrücklich ausgenommen sind Palästinenser, die „direkt oder indirekt an Terror- oder Mordaktionen beteiligt waren“.
Nach Berichten israelischer Medien haben sich Israelis und Palästinenser darauf geeinigt, daß Gefangene, die zu Organisationen gehören, die das „Gaza-Jericho-Abkommen“ ablehnen, weiter in den Gefängnissen bleiben. Dies betrifft besonders Mitglieder der islamistischen Hamas-Bewegung. Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin behauptete am Donnerstag bei einem Besuch im Gaza-Streifen, in israelischen Gefängnissen säßen nur 9.500 Palästinener. Bisher war von 13.000 bis 14.000 Gefangenen die Rede.
Der „Friedenskoordinator“ der US-Regierung, Dennis Ross, beendete gestern seine Nahostreise. Nach seinem Abflug aus Damaskus zeigten sich hohe Beamte der US-Regierung davon überzeugt, daß sich Syrien und Israel noch innerhalb der nächsten sechs Monate auf die Grundzüge eine gemeinsamen Friedensabkommens einigen werden. Zuvor hatte Ross Israel, Jordanien und Tunesien besucht. In Tunis machte er auch im Hauptquartier der PLO halt.
Die Regierung in Washington ist davon überzeugt, daß Syrien und Libanon unbedingt in den Friedensprozeß einbezogen werden müssen, da sonst die bisher erreichten Vereinbarungen Israels mit der PLO und Jordanien wieder zerbrechen könnten. Der Leiter der Nahostabteiliung im US-Außenministerium und zukünftige Botschafter in Israel, Edward Djerejian, erklärte am Vorabend des Ross-Besuchs in Damaskus, „die Achse Damaskus-Jerusalem“ sei der eigentliche Kern des Nahost- Konflikts. Ein Friedensvertrag zwischen den beiden Staaten sei für eine Lösung des Konflikts unerläßlich. Ross versicherte dem syrischen Präsidenten Hafis al-Assad, daß die US-Regierung nicht beabsichtige, die Syrer alleine im Regen stehen zu lassen.
Das „Gaza-Jericho-Abkommen“ zwischen der PLO und der israelischen Regierung hat Syrien überrumpelt. Die ohnehin rissige gemeinsame arabische Front gegen Israel wurde dadurch endgültig zerstört und Syriens Verhandlungsposition geschwächt. Rabin nutzt die Situation, um al-Assad weichzukochen. Dem syrischen Staatschef ließ er mitteilen, in Israel sei man derzeit damit beschäftigt, das Abkommen mit den Palästinensern in die Tat umzusetzen. Verhandlungen mit Syrien seien erst danach an der Reihe.
Innenpolitisch ist die israelische Regierung derzeit geschwächt. Die religiöse Schass-Partei scherte aus der Koalition aus, weil sich ein von ihr gestellter Minister wegen Korruption vor Gericht verantworten muß. Ein Abkommen mit Syrien, das Konzessionen in der Frage der israelisch besetzten Golanhöhen erfordert, ist Rabins Regierung angesichts der unsicheren Mehrheitsverhältnisse im Parlament zu riskant.
Politische Beobachter in Israel gehen davon aus an, daß Ross in Jerusalem einige „neue Formulierungen“ erhielt, die er der syrischen Führung überbrachte. US- Außenminister Warren Christopher will am 4. November eine Rundreise durch den Nahen Osten antreten. Erst danach soll ein Termin für die nächste Runde der Friedensgespräche in Washington festgelegt werden.
In der Zwischenzeit soll offensichtlich der Geheimdiplomatie mehr Platz einberaumt werden. Die US-Regierung versucht dabei, ihre Rolle als „aktiver Partner“ des Friedensprozesses im Nahen Osten zurückgewinnen, die sie durch die Geheimverhandlungen zwischen der PLO und der israelischen Regierung in Norwegen offensichtlich verloren hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen