: Wenn der Feldjäger zweimal klingelt ...
Seit Juli 1992 ist in Lichtenberg eine Feldjägerkompanie der Bundeswehr stationiert / Die Suche nach flüchtigen Soldaten ist in Berlin schwierig / Wer aufgegriffen wird, muß damit rechnen, eine Nacht in der Kaserne zu verbringen ■ Von Severin Weiland
Vor sechs Wochen hätte Feldwebel Peter Krause zum ersten Mal in seinem Leben auf einen Menschen geschossen. Mit einem Kameraden von der Feldjägerkompanie Berlin war es ihm gelungen, einen flüchtigen Wehrpflichtigen in einer Spandauer Kneipe zu stellen und festzunehmen. Ob er noch ein paar Sachen aus seinem Elternhaus holen könne, fragte der Mann. Na klar, warum nicht. Krause begleitete den Gesuchten in die Wohnung, der zweite Feldjäger wartete unterdessen draußen. Zunächst schien alles eine Routineangelegenheit. Doch als der Wehrpflichtige aus dem Badezimmer herauskam, hatte er eine Pistole in der Hand und schoß. Krause sprang zurück, zog seine Dienstwaffe. In seiner Verzweiflung griff sich der Wehrpflichtige plötzlich seine Schwester, richtete die Waffe auf ihren Kopf und drohte, abzudrücken. Krause redete auf ihn ein, minutenlang. Schließlich gab der Wehrpflichtige auf – die Waffe, so sollte sich später herausstellen, war eine Gaspistole.
Major Peter Busch, Chef der seit dem 1. Juli 1992 offiziell in Dienst gestellten Truppe, läßt gerne Männer wie Krause erzählen. Denn dessen Geschichte klingt nicht nur spektakulär, sondern dient Busch auch dazu, das Bild seiner Truppe ein wenig zurechtzurücken. Der 36jährige ärgert sich vor allem über pauschale Urteile, wie sie etwa von Kriegsdienstgegnern öffentlich verbreitet werden. „Wir sind nicht mehr die Kettenhunde des Zweiten Weltkrieges.“ Natürlich würden die Feldjäger von den Wehrpflichtigen kritisch beäugt. „Wir sind sicherlich nicht beliebter als die Polizei bei den Fußballfans.“ Aber schließlich hätten seine Männer auch „Fürsorgepflichten“, bewahrten Soldaten häufig vor Schlimmerem.
Busch ist nicht der Typus Militär, wie es die martialische Bezeichnung der Truppe, die er kommandiert, vermuten läßt. Er wirkt sympathisch, keineswegs hölzern, wählt sorgsam seine Sätze. Daß er an der Bundeswehrhochschule in Hamburg Sexual- und Erziehungspädagogik studiert und mit einem Diplom abgeschlossen hat, will so ganz und gar nicht zu dem Dienstzimmer passen, in dem er Besuch empfängt. Von einem der Wände blickt Friedrich II. mit strenger Miene in den Raum. Das Portrait des Preußenkönigs erinnert an die Ursprünge der Truppe: 1740 wurde auf seinen Befehl hin ein „Feld-Jäger-Korps zu Felde“ eingerichtet. Dieser „Traditionslinie“ fühlten sich die Feldjäger „als Teil einer Armee im Rechtsstaat verpflichtet“, referiert Busch.
Die Kompanie in der Rummelsburg-Kaserne in Lichtenberg besteht zu neunzig Prozent aus Berufs- und Zeitsoldaten. Ihr Aufgabengebiet ist umfangreich: Neben dem Ordnungsdienst regelt, überwacht und steuert sie den militärischen Verkehr, schützt Einrichtungen und Personal der Bundeswehr oder eskortiert Prominente wie den Bundesverteidigungsminister. Gefürchtet und gehaßt wird sie wegen einer anderen Aufgabe: Fahnenflüchtige und eigenmächtig vom Dienst abwesende Soldaten aufzuspüren. „Wir sind sozusagen der verlängerte Arm des Dienstvorgesetzten“, so Busch. Der Auftrag der Berliner Kompanie gleicht dem der anderen 34 Feldjägerkommandos der Bundeswehr. Nur der Alltag ist in der neuen Hauptstadt anders. „Ein Teil unserer Klientel ist ja gerade vor dem Mauerfall nach Berlin gegangen, um sich dem Dienst in der Bundeswehr zu entziehen“, sagt Busch mit ironischem Unterton.
Als die Wehrpflicht am 1. Januar 1991 in Westberlin begann, standen anfangs rund 150 Namen auf der Fahndungsliste der Feldjäger. Nun seien es nach dem letzten Einberufungsbefehl noch „zwischen 30 und 50“, sagt Busch. Die Namen der Gesuchten befinden sich im Dienstkommando der Kompanie hinter einem roten Vorhang, fein säuberlich auf Karteikarten geschrieben. Wer auf dieser „Nachforschungsübersicht“ gelandet ist, gehört zu den Gejagten. Dazu zählen beispielsweise Wehrpflichtige, die drei Tage nach dem Gestellungstermin nicht in ihrer Kaserne erschienen sind. In der Regel nehmen dann die Feldjäger die Suche auf, ausgestattet mit Daten über Alter, Geburts- und Aufenthaltsort des Betreffenden. In den wenigsten Fällen verfügen sie über Personenbeschreibungen. Daten aus dem Landeseinwohneramt werden ebenso hinzugezogen wie Informationen der Polizei. Aber auch bei Bekannten, Nachbarn und Freunden des Flüchtigen fragen die Militärpolizisten nach.
„Sie können sich nicht vorstellen, wie gerne die Leute über andere plaudern“, sagt Oberfeldwebel Thomas Schaumburg. Der 30jährige hat schon beim „Standortstreifendienst Berlin“, einer mit den Feldjägern vergleichbare Einheit der NVA, gedient. Den Job bei der Militärpolizei findet er „spannend, abwechslungsreich. Man weiß nie, was einem im Laufe einer Schicht so alles passiert.“ Wenn Schaumburg oder seine Kameraden durch die Stadt pirschen, lassen sie ihre Uniform in den allermeisten Fällen im Spind. Sogar mehrere austauschbare Nummernschilder stehen für den zivilen Wagenpark bereit.
Berlin ist kein leichtes Terrain. Bezirke wie Kreuzberg, aber auch Lichtenberg oder Marzahn seien besonders problematisch, erzählt Schaumburg: „Ich glaube, das hängt weniger mit uns als Feldjägern zusammen, sondern mit der Tatsache, daß dort Vertreter des Staates generell nicht gerne gesehen werden.“ Manchmal bedienen sich die Feldjäger auch Tricks, um den Aufenthalt eines Flüchtigen zu überprüfen. „Kniffe“ nennt sie Krause lieber und verrät einen der harmloseren: ein Zigarettenpapier in den Türspalt zu stecken. „Liegt es bei unserem nächsten Besuch auf dem Boden, wissen wir Bescheid.“ Tätliche Angriffe, wie sie Feldwebel Krause in Spandau jüngst erleben mußte, sind im Alltag der Feldjäger die Ausnahme. Hartnäckiger hält sich der verbale Widerstand. Beschimpfungen sind keine Seltenheit. Schwierig, so erzählt Krause, sind diejenigen, die sich aus politischen Motiven der Wehrpflicht entziehen wollen: „Die kennen meistens ihre rechtlichen Möglichkeiten sehr genau und können sich im übrigen auch besser verstecken.“ Deren Bedeutung werde in der Öffentlichkeit überschätzt, meint hingegen Major Busch. „Höchstens zwanzig Prozent“ handelten aus politischen Motiven. Der überwiegende Teil entferne sich aus ganz unterschiedlichen, persönlichen Motiven vom Dienst: Trennung von der Familie, der Freundin, Probleme mit Drogen und Alkohol. Wer aufgegriffen wird, muß damit rechnen, eine Nacht in der Kaserne an der Hauptstraße 7 zu verbringen. Während der Raum neben dem Dienstkommando mit dem Hochbett noch passabel wirkt, könnte die Zelle im Keller auch in einem Isolationstrakt untergebracht sein: Weiße Kacheln, ein Klappbett, Toilette und Waschbecken aus Metall, ein winziges Glasfenster, hinter schlagsicherem Plastik vier Neonröhren, im Winkel über der Tür eine Videokamera. „Wir haben diese Zelle in den anderthalb Jahren nur einmal benutzen müssen“, beschwichtigt Major Busch. Fast entschuldigend fügt er hinzu: „Das war übrigens kein Fahnenflüchtiger oder eigenmächtig Abwesender, sondern ein Randalierer.“
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