Sanssouci: Vorschlag
■ 7 Seconds und Big Drill Car im SO 36
Für den langgedienten Punkrock-Fan, der schon den Übergang des Genres zum Hardcore schon nur mehr schleppend nachvollziehen konnte, gibt es in diesen sich wild crossovernden Zeiten nicht mehr viel, woran er sich festhalten kann. Der Großteil der verdienten Helden existiert nicht mehr, eines der letzten Fähnlein halten Bad Religion noch hoch und machen alle Jahre wieder eine Platte, die sich genauso anhört wie die davor. Und sich treu bleiben ist eine der wichtigsten Eigenschaften, die eine solche Band haben sollte, um ihre Fans zu behalten.
Zwar auch schon fast 15 Jahre dabei und damit zusammen mit Bands wie Black Flag oder Minor Threat Begründer des Ami- Hardcore sind 7 Seconds. Doch sie verstießen genau gegen jene goldene Regel des Punkrockbusiness, wonach nur keine musikalische Entwicklung eine gute musikalische Entwicklung ist. Begonnen hatten sie als aufrechte linke Skin-Band, kultisch verehrt wurden sie Mitte der 80er für ihre gnadenlosen Coverversionen von „These Boots Are Made For Walking“, „If The Kids Are United“ und „99 Luftballons“. Doch nach einigen Jahren voller Freude an schlichter Oi-Musik wurden sie doch tatsächlich melodiöser. Das brachte ihnen in einschlägigen Kreisen sofort den damals recht beliebten U2-Vorwurf ein. Doch anstatt den Schwanz einzuziehen und zum Uffta-Uffta zurückzukehren, mutierten 7 Seconds immer mehr zum klassischen Independent-Hardrock, der, wie wir wissen, erst kürzlich seinen endgültigen Durchbruch zur Massenkompatibilität geschafft hat.
7 Seconds scheinen nun ihre persönliche Entwicklung auf diesem Weg nahezu abgeschlossen zu haben. Wer traurig beim kürzlichen Radiohören feststellen durfte, daß aus Soul Asylum ein wandelnder Schmachtfetzen wurde, ist mit 7 Seconds wahrscheinlich besser bedient. Die befinden sich momentan kurz vor der Hangtime-Phase von Soul Asylum. Oder ersetzen Buffalo Tom vor derem rasanten Abschmieren in die Abgründe des Kitsches. Halt ganz schlicht, ganz melodiös, ohne jede Rap-, Funk- oder sonstige Dancefloor-Einflüsse. Fast rührend altmodisch, denn von welcher Independent-Rockband kann man das heutzutage schon noch sagen?
Ähnlich archaisch klingen zwar Big Drill Car, doch haben sie bei weitem nicht eine vergleichbar sagenumwobene Vergangenheit wie 7 Seconds aufzuweisen. Wüßte man es nicht besser, könnte man sie auch leicht mit All verwechseln, mit denen sie einmal das Cruz-Label teilten. Das bedeutet immer noch die Essenz von Hardcore in klar strukturierten, fast schon eckigen Formen. Die Instrumente klar und deutlich voneinander abgegrenzt hörbar. Eine Schönheit, die aus einer fast mathematischen Exaktheit und Übersichtlichkeit erwächst. Thomas Winkler
Heute um 21 Uhr im SO 36, Oranienstr.190, Kreuzberg
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