Sanssouci: Vorschlag
■ Puppenspiele in der Staatsoper Unter den Linden
Bei Aldi gibt es schon Zuckerkringel zu kaufen, und in der Lindenoper laufen wieder Kinder herum. Mit anderen Worten: Es weihnachtet sehr. Das Kind an sich geht nämlich in der Regel nur gegen Jahresende in die Oper. Was eigentlich wirklich schade ist.
Im Apollosaal der Staatsoper Unter den Linden stehen komische babybunte Kugelbäume am Bühnenrand herum sowie Steckenpferd und Hampelmann, wie süß. Zwar wären eine Barbie oder ein Dino zweifellos zeitgemäßer, auch würden die Kinder sicherlich lieber selber spielen, als still beim Spiel anderer zuschauen zu müssen. Aber immerhin spielt hier zum Ergötzen der Kleinen ausnahmsweise ein ganz großer Mann – nämlich der Staatsopernchef persönlich. Er spielt auf dem Steinway-Flügel eine (leider nicht näher ausgewiesene) Klavierfassung von Claude Debussys Musik zu André Hellés Kinderballett „La Boite à Joux-joux“ (Die Spielzeugkiste). Daniel Barenboim spielt offenbar aus der Rohfassung des Stücks, aus den zur Instrumentation vorgesehenen Skizzen. Er spielt mit viel Pedal und trägt ein bißchen zu dick auf. Trotzdem klingt die Musik mager, akademisch und wie lieblos heruntergedroschen. Mit den Orchesterfarben dazu, mit Flöten, Klarinetten und Geigen könnte man deutlich hören, wie tote Materie lebendig wird: wie das Licht angeht in der Spielzeugkiste und die Puppen aufwachen, wie sie tanzen und marschieren, sich verlieben und sich bekriegen. So aber bleibt die Geschichte blaß und abstrakt.
Bunt ausgemalte Abziehbilder führen dazu auf einer weißen Leinwand allerhand ungelenke Veränderungen vor: ein künstliches Schattenspiel mit an Stäben geführten Figuren, die aussehen wie von Kinderhand entworfen. Oder vielmehr, wie Erwachsene glauben, daß die Kinder die Welt sehen, weil sie eben so malen. Die Kugelbäume, das Häuschen, die Figuren sollen Authentizität vermitteln, aber sie sind nichts weiter als ein mißverstandener Abklatsch jener naiven Illustrationen, die einst André Hellé für den Erstdruck der Debussyschen Originalpartitur von „Boite à Joux-joux“ gezeichnet hat. Das Mißverständnis sitzt tief. Denn Hellés „La Boite à Joux-joux“ geht nicht ästhetisch in die Knie, um sich auf kindliches Niveau herabzulassen, ganz im Gegenteil. „Spielzeugkisten“, schrieb Hellé im Jahre 1919, „sind eigentlich Städte, in denen die Spielsachen wie richtige Menschen wohnen. Oder vielleicht sind Städte nichts als Spielzeugkisten, in denen die Menschen wie Spielsachen wohnen.“
Der zweite Teil des Abends – Manuel de Fallas wundersamer Einakter „Don Pedros Puppenspiel“ – hat ein richtiges Opern- Orchester und eine super-surrealistische dreifach verwickelte Opernhandlung. Das Orchester der Staatsoper spielt prächtig. Auf der Bühne aber arbeiten übereifrige junge Leute mit dem ästhetisch-didaktischen Holzhammer dergestalt, daß auch noch das unaufmerksamste Kind in der allerletzten Reihe kapiert: hier bin ich falsch. Kurzum: Die Kinderopern in der Lindenoper schrammen an den Kindern und an der Gattung Oper voll vorbei. Eleonore Büning
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