: Nazilied klingt aus
■ Nachspiel zum angeblichen Singen des Horst-Wessel-Liedes durch BGS-Einheit am 1. Mai: Entlastung in Antifa-Zeitschrift
Sind die Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS), die nach der traditionellen Autonomen-Demonstration in der Nacht vom 1. Mai 1993 in der Kreuzberger Oranienstraße das Horst-Wessel-Lied gesungen haben sollen, zu Unrecht beschuldigt worden?
Der Vorfall, damals von zwei Anwohnerinnen gegenüber dem Staatsschutz zu Protokoll gegeben, hatte für erheblichen Wirbel gesorgt. Selbst der FAZ war dies eine Kurzmeldung auf ihren Inlandsseiten wert. Jetzt erhalten die Beamten, die den Vorfall in Vernehmungen gegenüber dem Staatsschutz stets bestritten hatten, unverhofft verspätete Schützenhilfe von Linksaußen: In der jüngsten Ausgabe der in Berlin erscheinenden Zeitschrift Antifa-Info (Nr. 24) entlastet ein Leser in einem Schreiben an die Redaktion die BGS- Einheit. Der Verfasser des Briefes mit dem Kürzel S.G., der selbst ein Zeuge des Vorfalls gewesen sein will, beschreibt die damalige Szene als Tat eines besoffenen Zuschauers: Als die BGS-Einheit am 1. Mai durch die Oranienstraße marschiert sei, habe jemand aus einem Fenster in offenbar satirischer Absicht nach der Aufforderung „Ein Lied-drei-vier“ die Strophe „Die Wacht am Rhein“ angestimmt. Daraufhin habe in einem gegenüberliegenden Hauseingang ein Betrunkener das Horst-Wessel- Lied gesungen und dabei sogar den falschen Text benutzt. Originalton des Leserbriefs: „Dann war die Truppe vorbei und Schluß mit dem Gesinge. Die BGS'ler haben überhaupt nicht reagiert.“
Mit offenkundiger Schadenfreude kommentiert S.G. die politischen Auswirkungen des Naziliedes, bei dem der Staatsschutz über zwei Wochen gegen die Einheit ermittelt und 75 BGS-Beamte vernommen hatte. Es sei „interessant“, so S.G. in dem Brief an die Antifa-Redaktion, daß „Berliner Staatsschutzkreise (...) es offenbar durchaus für möglich hielten, daß BGS'ler solche Lieder singen“.
Das Ermittlungsverfahren des Berliner Staatsschutzes war Ende Mai ohne Ergebnis „vorläufig abgeschlossen" und die Akten an die Staatsanwaltschaft übergeben worden. Gegenüber der taz hatte im Mai der Leiter des Bundesgrenzschutzkommandos-Ost, Lothar Busch, den Verdacht mit der Bemerkung zurückgewiesen, das Singen eines Liedes sei allein schon wegen des Kinnschutzes unmöglich. Busch hatte die Vermutung geäußert, daß das Nazilied von Störern „bewußt“ benutzt worden sei. Auch Videoaufnahmen, die ein Augenzeuge am 1. Mai in der Oranienstraße von der BGS-Einheit gemacht hatte, sprachen eher für als gegen die Beamten. Die zu hörenden Liedfetzen auf dem Band waren nicht eindeutig der BGS-Einheit zuzuordnen. Severin Weiland
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