: Rüben ohne Geschmacksverstärker
■ HipHop, Jazz und Hipster-Rock, Soul und ukrainische Avantgarde auf Hamburgs Indie-Labeln
M'BLU ET MOI - Precious Spirit
Von allen Kapellen des Soulciety-Labels sind M'Blu Et Moi am biologischsten Jazz. Ihre wertkonservative Arbeit schert sich wenig um die letzten Schritte der Evolution zum Tanzboden hin sondern organisiert die Annalen des Jazz von Bird über Monk bis Young ohne Geschmacksverstärker. Entspannt groovt das Septett auf ihrem Debüt über sechs Stücke, garniert sich mit Jazzrock- und Funk-Glasur und überzeugt durch eine angenehm undeutsche Art Jazz zu spielen. Keine verquasten Soli ohne Herztöne, kein Unisono-Body-Building, vielmehr coole Schlichtheit gibt ihrem Debüt Profil. Gelungenes Zusammenspiel auf fortlaufenden Beats bestimmt die Architektur. Die unaufgeregte Art führt zwar auch Momente lang zu Dämmerschlaf, prägt aber einen eigenen Stil. Gemeinsam mit STP stellt die Band beim nächsten Hörproben-Konzert am 9.11. im Logo ihren wertvollen Geist vor.tlb Soulciety/EWM
RUBBERMAIDS - presents Los Ruberos
Los Ruberos wollen nicht bloß nur mit Wasser kochen, sondern es aus demselben Wasserhahn zapfen wie alle anderen auch. Also treffen sich im Badezimmer diejenigen, welche nicht zum Einseifen, sondern zum Melodietauschen unter die Dusche treten. Die flexiblen Rocker Rubbermaids geben dort für eine spezielle Platte ihrem ewig unbestrittenen Drang nach Hautkontakt, soliden Kumpelgefühlen und Parodien nach. Ihr Witz bezieht sich auf das bekannte Verhalten von Ferienreisenden, andere Sprachen, getragene Moden und die kulinarische Versorgung. Da Los Ruberos ihre Lieder zu Hause aufnehmen wollten, stellten sie im Marquee im März das Ausland und die Ferien mit Sombreros, Ponchos und angeklebten Schnurrbärten einfach nach. Dennoch vergaßen sie nicht ihre „Wurzeln“. Wurzeln sind oft geschälte Song-Karotten, die sich auch gern ältere Leute zur Identitätsfindung von unten in den Darm schieben. Dazu gehören im Fall der Los Ruberos unter anderem die zertrampelten Rübenfelder von Billy Idol, den Ramones und den Sex Pistols. Mit Akustik-Gitarren und spanischen Ansagen berichten sie gröhligen Claqueuren von den Klischees, an die sie vor ihrer Reise auch schon glaubten. Die Langeweile ist ein borniertes Gespenst aus St. Pauli. K. Schreuf
Stars in the Dark/Vielklang/EFA
NOVAYA SCENA - 14 Bands aus der Ukraine
Was ist so komisch an dieser CD? Ist es die Tatsache, daß keine der hier erstmalig veröffentlichten Gruppen aus Seattle, London oder wenigstens Hamburg stammt, sondern aus Kiev und Kharkow? Oder überrascht einen die Existenz einer „Novaya Scena“, einer neuen Szene, die man als aufgeschlossener Westeuropäer auch über Jahre hinweg erfolgreich übersah? Für den hiesigen Populärmusikfreund war der Osten ja seit jeher weiter weg, als beispielsweise Nordamerika. Es bedurfte leider einmal mehr westlicher Förderer wie WSFA, um uns mit der Nase auf derartige Entwicklungen zu stoßen. Dieses Dokument der neueren musikalischen Geschichte der Ukraine meistert es wie kaum eine andere aktuelle Veröffentlichung Authentizität und Ehrlichkeit zu vermitteln. Eine Ehrlichkeit, die fremd, die unsauber, die unprofessionell ist. Und die darüberhinaus endgültig klärt, daß das Ignorieren dieser Kultur, die keine Grenzen kennt zwischen Punk und Avantgarde, als westliche Arroganz zu werten ist. Eine Kultur, deren politische Relevanz nicht durch fettige Matten und zerschlissene Kleidung geschaffen wird. Die „Novaya Scena“ hat das Glück und den Grund, rebellieren zu können, ohne sich zwangsläufig lächerlich zu machen. Karascho.
Jan Christoph Wolter
What's So Funny About/Indigo
THE COOK MONSTER
Bruchstücke aus alten Platten zu bekommen, wird immer kostspieliger und langwieriger. Aus dieser Not eine Tugend macht der Sampler The Cook Monster. Der James Brown-Schlagzeuger Tony Cook, der sich mit Haut und Haaren an das Yo Mama-Label verkauft hat, dient mit seiner „Funk EP“ als musikalischer Steinbruch für 12 deutsche HipHop-Bands. In Hamburg zeigt man viel Respekt vor dem alten Helden und garniert dessen instrumentales „Simply Wicked“ lediglich mit einer verstimmten Gitarre (Poets Of Peeze), Raggatoasten (Irie Hifi) oder mit einer in hypnotischer Eindringlichkeit erzählten Trampergeschichte (Eric „IQ“ Gray). Wobei der Exilhamburger Eric „IQ“ Gray dem sich langsam dahinschleppenden Original am meisten hinzufügt.
Etwas weiter wagen sich schon die rheinländischen Formationen Kaos und Blitz Mob aus dem Fenster, die sich ihre Zitate aus der gesamten „Funk EP“ des Trommlers klauben. Deren Rap reibt sich jedoch an der deutschen Sprache oder an der allzu willfährigen Imi-tation von US-amerikanischen Rap-Klischees. Im ganzen ein preiswerter Talentschuppen, wobei einige wie die Poets Of Peeze und 2 Ruff live bereits gezeigt haben, daß sie zu mehr imstande sind.
Volker Marquardt
Yo Mama/EWM
WHITEOUTS - O.T.
Andy Giorbino begegnete der Autor vor 6-7 Jahren in den Büros eines Kurierdienstes, in welchen jener mit nervösen Blicken derwischte. Giorbino kämpfte mit der Einsicht, auch nach effizientester Praxis bis zum Abend nur vier seiner täglich etwa 22 Ideen verwirklichen zu können. Einer dieser Ideen, der Verwandlung zum Rock-Hipster, widmete Giorbino sein Engagement bei den Geisterfahrern. Artsy Hard Rock aus gruselig fruchtbaren Schößen spielt der Hyperaktivist seit Beginn der 90er Jahre mit den Whiteouts. Das Quartett wagt für sein erstes Album ein nur mit Teleobjektiv überschaubares Unternehmen: Lebensgefühle der 80er (geile Gehetztheit, Aufputschseuchen, innere Schweinehunde übernehmen lächelnd die Macht) mit musikalischen Haltungen der 70er (lange Intros und Outros, platzschaffende Gitarrenriffs, die Nähe zur Paralyse hält sich die Waage mit dem Talent sich der ganzen Welt überzustülpen) zu verbinden. Der einzige Nachteil der Platte liegt in dem Versäumnis der Band, nicht nur genügend Kraft sondern auch ausreichend viele Formulierungen für ihr Vorhaben gesammelt zu haben. Aber dafür reicht Giorbinos Gesang vom Knarzen des Dandys als Bluthund über schweres Fickröcheln bis zur Agonie. Das Whiteouts-Land: Man spricht Fleisch. Kristof Schreuf
Vince Lombardy/EFA
CUNNIE WILLIAMS - Comin' from the Heart of the Ghetto
Wenn sich Sportler an Musik vergreifen, sträuben sich einem regelmäßig die Nackenhaare. Die Ausflüge der Ballkünstler auf musikalisches Terrain erreichten mit „Bomber“ Gerd Müllers „Dann macht es Bumm!“ einen vorläufigen Höhepunkt, der heuer von Uli Steins neuem Liedgut noch übertroffen wurde. Anders der Hannoveraner Basketball-Profi Cunni (Kjuni) Williams, der mit 60's Soul in modernem Gewand einläuft. Sein erster Wurf im Trikot des Hamburger Yo Mama Labels flattert zwischen Jazz Poetry und Stevie Wonder hin und her. Immer wenn der in L.A. geborene Hüne im Minnesang allzu seifig wird und ausfasert, nimmt er sich zurück und rückt die Dinge mit dem rauhen Sprechgesang eines Gil Scott-Heron wieder zurecht. Dann macht Williams mit den westafrikanischen Geschichtenerzählern (Griots) die Keimzelle schwarzer Musik fest. In dem club-kompatiblen „Do I Have To?“ fragt sich der Barde, warum sich der Zorn der Afro-Amerikaner während der L.A.-Riots gegen ihre koreanischen Nachbarn richtete. Diese Aktualität der Themen und eine sparsame Bearbeitung der Funk und Soul-Vorgaben machen aus dem Erstling mehr als einen weiteren Abklatsch der guten alten Zeiten. Korb Williams. Volker Marquardt
Yo Mama/EWM
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