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Marlenes Hosen. Sonst nichts.

Mode im Berliner Film: Vor dem Zweiten Weltkrieg mondän, zu Kriegszeiten bieder, danach zum Anfassen. Aber dann? Ein historischer Abriß  ■ Von Katja Aschke

Am 7.Mai 1992, einen Tag nachdem Marlene Dietrich gestorben war, fragte ein Fernsehreporter auf dem Kurfürstendamm zwei junge Frauen, ob ihnen der Name etwas sage. Verlegenes Lachen, Stottern. Halbe Sätze. Dann: „Na, die Hosen...“ Und: „Ja. Die Hosen. Das war doch die Dietrich... Oder?“

Ja, das war sie.

Nicht ihre kühle Schönheit, nicht die Perfektion ihres Auftritts, nicht die Lola, nicht die Lily, nicht Angel, nicht Erika von Schuetow fällt ihnen ein, keine ihrer mehr als fünfzig Filmrollen. Keine Erinnerung an ihre Lieder. Nur, daß sie eine bestimmte Hosenmode lanciert hatte. Das Kino und die Mode – eine emphatische Liebesgeschichte... Die spannendsten Kapitel wurden von Jean Harlow, Joan Crawford, Rita Hayworth, Marilyn Monroe und Brigitte Bardot geschrieben. Manchmal in Paris, meistens (wenn auch oft mit Hilfe französischer Couturies) in Hollywood. Und in Berlin? Marlene... Ja, aber sonst?

Kein James Dean, der das T- Shirt, kein Humphrey Bogart, der den Trench zur Heldenrüstung adelte, kein Robert Redford, der als Gatsby mit der Mode des Müßiggangs die Männermode aus ihrer Agonie erlöste. Wirklich nicht, niemals? Einmal ja. Vor langer, langer Zeit. Da wollten die Berliner auch so aussehen wie ihre Leinwandhelden, wie Henny Porten, Asta Nielsen, Lilian Harvey. Auch: wie Harry Liedtke, Adolf Wohlbrück, Willy Fritsch.

Asta Nielsen (1882 bis 1972), der erste internationale Star des deutschen Stummfilms, war um 1920 so bekannt, daß nicht nur in Berlin, sondern von Paris bis Nagasaki, von Melbourne bis San Francisco ihre großen Hüte und ihre Frisur kopiert wurden. Das hautenge Futteralkleid, das sie im 1912 in Berlin gedrehten Film „Totentanz“ trug, wurde zur Metapher eines neuen Frauentyps.

Henny Porten, Fern Andra, Lya de Putti und viele andere namhafte Filmstars der frühen Jahre ließen sich in ihren Filmen von den großen Berliner Salons (Gerson, Max Becker, Clara Schultz, Flatow und Schädler) ausstatten und posierten in den Gesellschaftsblättern Elegante Welt und Die Dame bereitwillig als deren „Vorführdamen“. Die enge Allianz zwischen Kino und Mode basierte damals nicht nur auf Eitelkeit und Geschäftssinn, sondern erfüllte auch filmtechnische Interessen: Die Regisseure hatten das facettenreiche „Farbspiel“ schimmernder Perlen und beweglicher Stäbchenstickereien im Schwarzweiß-Film schätzen gelernt – auch deshalb wurden Stars wie Betty Amann, Brigitte Helm oder Lil Dagover mit kostbarsten Roben ausgestattet.

Als ich Brigitte Helm kürzlich in einem Interview auf ihre mondäne Haltung in einem Perlenkleid in „Die Insel“ ansprach, lachte sie: „Mondän? Von wegen. Das Ding war so schwer, daß ich mich kaum auf den Beinen halten konnte.“ Der Mythos des „Berlin der zwanziger Jahre“ nährt sich aus vielem: aus dem seidigen Schwarzweiß- Schimmer der Filme und der Mode jener Zeit bezieht er bis heute seinen verführerischsten Charme. Jenseits vom pudrigen Hauch, von Boa, Weißfuchs und Perlenfransen, zeigen sich die „Modernen“, die girls, allen voran Louise Brooks und Elisabeth Bergner. Berlin huldigte in ganzen Scharen dem neuen Typ junger Frauen, die als mehr oder weniger geglückte Kopien mit Bubikopf und schräger Kappe morgens um halb acht in die S-Bahn Richtung Alex oder Wittenbergplatz stiegen oder zum Hausvogteiplatz liefen.

Ein kurzer Auftritt, denn der Nationalsozialismus propagierte sein eigenes Frauenbild: nicht modern, schon gar nicht mondän, sondern adrett und fleißig, treudeutsch. Filmstars wie Marika Rökk, Ilse Werner, Zarah Leander präsentierten sich hochgeschlossen mit Spitzenkragen und tapferem Herzen: Protagonistinnen einer Mode, die mehr der Seelen- als der Körperhaltung dienen sollte.

Doch kaum war der Trümmerstaub verraucht, tauchten auch schon wieder neue „Traumkleider“ auf: Sonja Ziemann wurde als Schwarzwaldmädel oder Privatsekretärin zum Publikumsliebling der Adenauer-Ära, eine Prinzessin zum Anfassen. Raschelnde Abendkleider, brav, aber kostbar, Krönchen im Haar oder zumindest im Herzen. Eine heile Welt ohne Brüche, um vergessen zu machen, was zum Zusammenbruch geführt hatte. Doch dann: Kinokrise, Geldmangel und ein Geist der Zeit, der in jedem gutsitzenden Schneiderkostüm schon den Verrat fortschrittlicher Ideale witterte: Die Mode war tot – und in Berlin mausetot. Pflegeleicht-Etiketten eroberten Bewußtsein und Kleiderschränke.

Und heute? Eine Madonna haben wir nicht. Sie war der letzte Star, der eine internationale Mode kreierte: Durch sie wurde die Corsage gesellschaftsfähig. Ansonsten: Erlaubt ist, was gefällt. Aber was gefällt uns so, daß wir es – natürlich ganz unbewußt – irgendwie nachahmen, irgendwie zum „Vorbild“ nehmen? Ich weiß es nicht. Vielleicht Marlene... Aber sonst?

Mehr zum Thema im Ausstellungskatalog „Berlin en vogue. Berliner Mode in der Photographie“. Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen, 1993

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