: Theater in der Zeitenwende
13 Jahre „Maria Stuart“ am DT – die älteste Inszenierung Berlins ist spät aktuell geworden ■ Von Petra Kohse
Eine Gruppe von Schülern steht vor dem Deutschen Theater. Die in Turnschuhen und Designer- Sportjacken machen sich über den im engen Konfirmandenanzug lustig. Die Mädchen bleiben für sich. Ihnen steht vermutlich ein Pflichtbesuch bevor. Anschauungsunterricht parallel zur Schillerlektüre. „Maria Stuart“ in der Regie von Thomas Langhoff.
Worüber sich die Schüler wohl keine Gedanken machen, ist, daß der heutige Intendant dies inszenierte, als sie selbst noch in den Windeln lagen. Vor dreizehn Jahren. Das scheint ein Greisenalter für eine Aufführung zu sein, und nachdem am Maxim Gorki Theater Tschechows „Drei Schwestern“ abgesetzt wurde, ist „Maria Stuart“ tatsächlich Berlins älteste Inszenierung.
An westbundesdeutschen Theatern hält sich eine Produktion im allgemeinen nur wenige Spielzeiten. Die Abonnenten wollen Neues sehen, die Schauspieler wechseln das Engagement. In der DDR, zumal in Ostberlin, war es jedoch keine Ausnahme, Inszenierungen über eine Dekade oder mehr im Repertoire zu belassen. Die Ensemblekontinuität machte dies hier möglich.
Es gibt physiologische Grenzen, die eine Umbesetzung beispielsweise der jugendlichen Liebhaberin irgendwann unumgänglich machen. Bei zwei reifen Charakterrollen ist dies anders. Schillers Maria Stuart und Elisabeth von England können Mitte Dreißig oder Anfang Fünfzig sein, ohne daß die Aufführung darunter leidet. Zumal in Thomas Langhoffs Inszenierung, in der Jutta Wachowiak und Gudrun Ritter seit 13 Jahren etwa einmal im Monat als Theaterköniginnen gegeneinander antreten.
Langhoff hat Schillers Tragödie schon sprachlich vom Kothurn geholt und im bürgerlichen Milieu angesiedelt. Elisabeth mimt die Dame von Welt, ist aber tatsächlich eine eher kleinmütige Geschäftsfrau, der die eigenen Angelegenheiten über den wohlfrisierten Kopf wachsen und die in kindlicher Nervosität den Handtaschenverschluß klappern läßt. Maria, die einst Leidenschaftliche, ist zur biederen Frömmlerin geworden. Hoheitsvoll hält sie ihre Strickjacke zusammen, hat sich im Kerker der Welt entfremdet und glaubt deswegen, über sie erhaben zu sein.
Die erotische Kraft, mit der Ritter und Wachowiak die Bühnenmännerwelt sicher einst kirre machten, hat abgenommen – an ihrer Stelle ist der Reiz dessen getreten, was sie symbolisieren: Macht und Märtyrertum. Dies ist ohne Zweifel ein Bedeutungszugewinn. Nicht der einzige. Langhoffs Inszenierung ist mit den Jahren nicht alt geworden, sondern reifer. Die SchülerInnen sehen eine Aufführung, die durchaus ihrer Welt entstammt.
Zum Zeitpunkt der Premiere war vor allem der unkonventionelle Umgang mit Schiller spannend. Davon zeugen die Kritiken. Daß Langhoff gegen das Klischee der hehren Maria und der fiesen Elisabeth angeht, daß er versucht, die Handlungsweise der Elisabeth zu rechtfertigen und die Gläubigkeit der Stuart zu hinterfragen. Das Problem der Rechtsbeugung wurde damals eher als geschichtlicher Teil der Tragödie begriffen. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert, wie Jutta Wachowiak resümiert:
„Bei der Premiere wurde das nicht politisch verstanden. Das gesellschaftliche Klima war gar nicht entsprechend. Es war nicht schön, aber auch nicht gefährlich. Als wir dann aber auf die Wende zugingen, wurde das Stück immer brisanter. Die Leute saßen ja auch anders im Theater. Sie fingen an, sich Sätze rauszugreifen. Und als dann Honecker weg war und Krenz installiert wurde – wenn ich da gesagt habe: ,Ich kann so schnell nicht aus der Tiefe meines Elends zur Hoffnung übergehen‘ – solche Sätze habe ich anders gesprochen, und die wurden auch neu verstanden. Oder die Stelle, wo ich zu Burleigh sage: ,Ich zweifle nicht, daß ein Gesetz, ausdrücklich auf mich gemacht, verfaßt, mich zu verderben, sich gegen mich wird brauchen lassen.‘ Das wurde gehört. So verschoben sich Prioritäten. Dieser Schiller ist schon unglaublich belastbar.“
Der Kampf zwischen Staatsräson und Leidenschaft, bei Langhoff gebrochen zu einem Kampf zwischen der mit Macht kompensierten Schwäche und einer Charakterstärke der Indoktrination, hat eine in dieser Verspätung seltene Aktualität erlangt. In ihrer Garderobe schaltet Jutta Wachowiak manchmal den Lautsprecher an und hört – noch nach 13 Jahren! – fasziniert dem Text der Kollegen zu.
„Die Maria repräsentiert in gewisser Weise die DDR. Mit einer frühen, schweren Blutschuld, die sie quält. Die kommt ihr hoch, nachdem sie jahrelang gesessen hat. In dieser Situation geht das Stück bei uns los. Sie weiß eigentlich, daß es nicht gut enden kann, daß es auf eine Hinrichtung hinauslaufen wird, und sie versucht, es zu einem Freitod umzufunktionieren. Und dann tritt sie ab mit dem Gestus: So meine Liebe, jetzt kannst du mal sehn, wie du damit fertig wirst. So ist die DDR eingegangen.
Als die Leute, die von den Wirtschaftszahlen mehr verstehen als unsereiner, diese Koko-Ebene eingefädelt haben, diese ganze Kommerzielle Koordinierungsgeschichte, müssen die ja schon gewußt haben, daß die sozialistische Wirtschaftsform nicht standhalten wird, Ende der sechziger Jahre. Ab da mußten Philosophen gewußt haben, wo das hinführt. Es wäre doch nicht so ereignislos implodiert, wenn das nicht schon seit zwanzig Jahren fällig gewesen wäre. Das alles hat mit der Stuart zu tun. Und auch die Fragestellung, wieviel besser derjenige dran ist, der meint, den Sieg davongetragen zu haben.“
In Langhoffs Inszenierung ist die Schillertragödie der Maria erst durch die Wende der Zeit zu einem Zeitstück geworden. Doch es wird nicht mehr lange dauern, bis die DDR-Vergangenheitsbewältigung folgenlos unter einem Berg schmutziger Wäsche erstickt ist. Vieles wird wieder historisch verstanden werden. Dann aber könnte das Drama einer sehr gealterten Elisabeth in den Vordergrund treten. Das Auf- und Zuknipsen des Handtaschenverschlusses bietet sich an als Symbol für die Kompensation politischen Handelns. Auch Langhoff ist belastbar.
„Maria Stuart“, heute abend um 19.30 Uhr, Deutsches Theater, Schumannstraße, Mitte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen