: Die Kunst des kleinen Schnittes
Der Deutschland-Cup im Schwabenland als Generalprobe für das große Eishockeyjahr 1994 mit WM und Olympia ■ Aus Stuttgart Matthias Kittmann
Das Kapitänsamt in der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft bleibt in Gewerkschaftshand. Rock Amann, Deutschkanadier von der DEG und Schatzmeister der Spielervereinigung „vde“, heißt der neue Mannschaftsführer. Nach dem Nationalmannschaftsrücktritt des bisherigen Kapitäns und Präsidenten der „vde“, Gerd Truntschka, haben das Trainerduo Dr. Ludek Bukac und Franz Reindl Amann kurzerhand dazu bestimmt: „Wir wollten einen erfahrenen Spieler, der auch im Verein Kapitän ist.“ Nach dem Deutschland-Cup in Stuttgart (Endspiel am Sonntag um 15.00 Uhr) wird es eine richtige Wahl der Spieler geben. Vielleicht geht dann Rick Amann als der „Eine-Woche-Kapitän“ in die Sportgeschichte ein. Doch alle potentiellen Kandidaten versichern: „Einen ,Wahlkampf‘ wird es nicht geben.“
Der Deutschland-Cup war ein Lieblingskind von Ex-Bundestrainer Xaver Unsinn, der den Cup zu dem großen Turnier Europas machen wollte – noch vor dem legendären Moskauer Iswestija-Cup. Doch bis zum letzten Jahr dümpelte er eher im Niemandsland zwischen Sauna-Cup und Globen- Cup umher. Nach einem gewissen Aufwärtstrend im vergangenen Jahr wird nun geklotzt. Dazu haben die Veranstalter erst mal das Preisgeld auf 250.000 Mark aufgestockt (allein 90.000 Mark für den Sieger). Ein weiteres Kriterium war: „Teilnehmer die ersten Sechs der letzten WM“, so Franz Reindl. Tatsächlich treten im Schwabenland außer den Gastgebern noch Rußland, Kanada, Schweden, Finnland und die Tschechische Republik an. Daß letztlich mit der Schweiz ein siebtes Team dabei ist, hat „politische“ Gründe. Reindl: „Wir hatten sie quasi schon vorab eingeladen. Schließlich konnte kein Mensch ahnen, daß die Eidgenossen in die B-Gruppe absteigen würden.“ Um die gutnachbarschaftlichen Beziehungen nicht ohne Not zu stören, wurden sie trotzdem eingeladen.
Dadurch ist ein etwas kurioser Modus entstanden: Während in der Gruppe A mit Kanada, Schweden und Deutschland jeder gegen jeden spielt und der Erste der Tabelle ins Finale einzieht, tragen die anderen vier in der Gruppe B ihre Begegnungen im K.O.-System aus. Um auch den Fans im Umland Spitzeneishockey zu bieten – oder um eine gähnend leere Hanns- Martin-Schleyer-Halle zu vermeiden – wurden die ersten Spiele am Donnerstag in den etwas gemütlicheren Arenen von Ulm, Pforzheim und Bietigheim ausgetragen.
Im Herbst vor dem großen Eishockeyjahr 1994 – Olympiaturnier und WM – wird bei den Gastgebern der Ernstfall nach der Ära Gerd Truntschka, mit dessen Rücktritt Didi Hegen seinen langjährigen internationalen „Bruder“ verloren hat, geprobt. Hegen soll nun ein neues (Traum-)Duo mit dem Kölner Thomas Brand bilden. Ergänzt wird der erste Sturm mit einem weiteren Kölner, Leo Stefan. Ansonsten vertraut der Trainerstab auf eingespielte Vereinsreihen, zum Beispiel auf den DEG- Sturm Köpf/Doucet/Kummer.
Die ursprünglich geplante Zäsur nach dem Motto „Alt raus, jung rein“ bleibt jedoch vorerst aus. Das abschreckende Schweizer Beispiel (freier Fall von WM-Platz vier in die B-Gruppe) hat den deutschen Trainerstab zum Nachdenken veranlaßt. Mittlerweile lautet die Parole: „Den großen Umbruch brauchen wir eigentlich gar nicht.“ Vielmehr meint Reindl: „Besser, man macht jedes Jahr einen kleinen Schnitt als einmal den gewaltigen.“ Immerhin kann er auf den Einbau junger Spieler wie Brandl, Köpf, Brockmann, Kummer und Torhüter Seliger verweisen. Schwarzmalerei sei also nicht angesagt.
In Stuttgart ist außerdem noch der Kölner Mirco Lüdemann dazugestoßen. Mit Sven Felski (Eisbären Berlin) und Alexander Serikow (Mannheim) stehen schon die nächsten Jungspunde bereit. Der DEB kann es sich sogar leisten, Supertalent und Bald-NHL-Stürmer Stefan Ustorf an die hauseigene Juniorenauswahl abzutreten. Bei den anderen Teams sind an diesem Wochenende einige altbekannte Bundesliga-Cracks zu bewundern. Bei den Tschechen etwa der Landshuter Super-Goalie Petr Briza oder der Neu-Rosenheimer Petr Hrbeck, den alle nur Erich nennen, weil sich sein Name wie Ribbeck spricht. Außerdem der Superstar des Zweitligisten Nürnberg, Jiri Dolezal, Ratingens Russe German Wolgin, der bis vor kurzem noch in der fünften (!) Liga spielte, und Hannovers Murray Eaves im Team Kanada.
Die Kanadier sorgten gleich zu Beginn für eine gelinde Überraschung, als sie, vor allem dank ihres Torhüters Hirsch, die Schweden mit einer 3:1-Niederlage vom Eis schickten. Weltmeister und Pokalverteidiger Rußland hatte erhebliche Mühe, die Schweiz schließlich mit 2:1 zu bezwingen. Nach der regulären Spielzeit stand es 1:1, erst nach 7:11 Minuten der Verlängerung gelang Sochin der Siegtreffer. Im dritten Spiel des ersten Tages gewann Finnland gegen die Tschechen mit 1:0.
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