: Eine Neue Wache - gegen Krieg und Gewalt
■ Die umstrittene Pieta von Käthe Kollwitz hat verhindert, daß die Neue Wache zum Ort des militärischen Aufmarsches der Bundeswehr wird - nun kann ihre Botschaft Schinkels Bau zum Ort der ...
Seit 1952 ist der 2. Sonntag vor dem 1. Advent in der Bundesrepublik der „Volkstrauertag“, ein nationaler Trauertag zum Gedenken der „Opfer beider Weltkriege und des Nationalsozialismus“. Am Volkstrauertag 1993 wird die „Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland“ eingeweiht, und die goldunterlegte Inschrift „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ entspricht in der Egalisierung der Opfer geradewegs der Widmung des Volkstrauertags vor 41 Jahren, der damals ein Heldengedenktag sein sollte. Älter als das Datum gesammelter Volkstrauer ist die Versammlung delegierter Trauergäste am Grabmal des „Unbekannten Soldaten“, seit im Ersten Weltkrieg Hunderttausende ohne „sterbliche Überreste“ grablos verschollen blieben. Hitler und seine Helfer vermehrten die Zahl der „Unbekannten Soldaten“ und der Kriegsopfer, die Zahl der Mörder und ihrer Mordopfer ins Ungemessene.
Nachdem in Bonn die Einrichtung einer „Zentralen Gedenkstätte“ vergeblich über zwei Legislaturperioden diskutiert wurde und ein nationales Mahnmal – unter monumentaler Dornenkrone – scheiterte, beanspruchte das Bundeskanzleramt seit 1991 die Neue Wache als „Bundesehrenmal“, „wo Staatsgäste, der Sitte folgend, einen Kranz niederlegen“, wie Christoph Stölzl den Entschluß der Bundesregierung erläuterte, „...anstelle einer erneuten Diskussion mit zweifelhaftem Ausgang sich an Gestaltungstraditionen zu orientieren“.
Zeigt nun der Staatsakt am Volkstrauertag, bei dem die Repräsentanten der deutschen Verfassungsorgane in der Neuen Wache ihre Kränze ablegen, wie das Volk zukünftig der „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ zentral gedenken soll?
Hier ist alles fragwürdig: der Ort (ein Jahrhundert militärische Hauptwache Berlins, später Reichsehrenmal der Republik wie des „Dritten Reichs“, dann staatliches Mahnmal der DDR), die Zeit (protokollarisches Zeremoniell für die Toten, bevor noch die Politiker in die Hauptstadt ziehen), die Aneignung eines Baudenkmals (statt eines Entwurfs für ein neues Mahnmal), Dekretierung der Gestaltung (ungeachtet aller Bedenken und Proteste), die Verfälschung der Begriffe wie die Verkleisterung der Gegensätze (zwischen den Tätern und den Opfern).
Der Streit um die Neue Wache dauert schon ein Jahr: Walter Jens plädiert für eine „strikte Restituierung des von Heinrich Tessenow anno 1931 geschaffenen Inneren der Schinkelschen Wache“. Christoph Stölzl gegen die „Rekonstruktion des kompletten Tessenow-Raumes“. Das wiedervereinigte Deutschland demonstriere seine Unfähigkeit, „eine eigene Sprache und ein Symbol für das Leid dieses Jahrhunderts zu finden“, schreibt Eduard Beaucamp in der FAZ. „Kein nationales Denkmal ist die einzig mögliche Antwort auf die grauenvolle Bilanz der Hitler-Diktatur“, meint dagegen der bildende Künstler Heinz Mack. Mehrere Denkmäler und Gedenkstätten „für Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung“ fordert dagegen der Historiker Heinrich August Winkler.
Die geplante Gedenkstätte steht vor der Aufgabe, „das Unvorstellbare in Worte zu gießen“, schreibt der Historiker Reinhart Koselleck, und „besser wäre eine Plastik, die alle Zahlen und Worte erübrigt“. „Das lebenslange Ringen von Käthe Kollwitz um die Gestaltung eines Denkmals, das dem sinnlosen gewaltsamen Tod ... ein Bild geben sollte, lenkt ganz von selbst das Interesse auf das Werk dieser Künstlerin“, sagt Christoph Stölzl. Dem stellvertretenden Direktor der Abteilung Bildende Künste der Akademie der Künste, Eberhard Roters, sträuben sich die Haare, wenn „nun mit Hilfe einer Vergrößerung nach Käthe Kollwitz so eine katholische Wegkapelle aus Schinkels Neuer Wache gemacht werden soll“.
„Maria Unter den Linden“ titelte Zeit-Redakteur Benedikt Erenz. Die Plastik ist nicht „katholisch religiös“, sagt Martin Fritsch, Mitarbeiter des Kollwitz-Museums, das beweisen schon die „derben Schuhe“. „Grabkammer, Siegestempel und Mutter mit totem Sohn“, addiert Denkmalspflegerin Gabi Dolff-Bonekämper: „skandalös und jämmerlich!“ Die Pieta vermittelt eine Botschaft, „die auch Gräben überbrücken kann“, sagt Arne Kollwitz. „Wir sollten froh sein, daß die an das Gefühl appellierende Mission der Käthe Kollwitz vielleicht ein Notbehelf ist“, sagt Christoph Stölzl, der bis zum Umzug des Innenministeriums mit einem Geschäftsbesorgungsvertrag vom Deutschen Historischen Museum aus über die Neue Wache wacht.
Noch verlangt Reinhart Koselleck die Ausschreibung für ein neues Denkmal, doch nichts ist dauerhafter als ein Provisorium. Verlangte nicht auch Theodor Heuß einmal eine neue Hymne für die Republik? Wir singen heute – wenn wir singen – Einigkeit und Recht und Fre-ei-heit noch immer auf die alte Melodie. „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen“, hatten die Nazis an das „Deutschlandlied“ gehängt, das haben die meisten heute schon vergessen. Konrad Adenauer bestand damals auf der alten Hymne, so wie sein politischer Enkel heute Schinkels altes Siegesmal besetzt.
Kann also Kanzler Kohls Rechnung aufgehen und der große Wachaufzug der Nazis vor dem Reichsehrenmal ganz in Vergessenheit geraten? Im vereinten Deutschland singen wieder ein paar Leute mehr die erste Strophe vom Deutschlandlied, und am Volkstrauertag ziehen die Neonazis, wie jedes Jahr, zum Soldatenfriedhof nach Halbe.
Eine öffentliche Debatte forderte Peter Conradi im Bundestag: „Das ist doch kein Regierungsmahnmal, das im Stil Seiner Majestät per Kabinettsorder gnädiglich dem deutschen Volk gewährt wird...“ Und doch hat Kohl vollendete Tatsachen geschaffen. Wenn nun die „Opfer der Gewaltherrschaft“ die Neue Wache dem „deutschen Volk“ überlassen und die Juden ihre Kränze zum Holocaust-Denkmal bringen, die Sinti und Roma zu ihrem Denkmal, die Russen zum Sowjetischen Ehrenmal, die Homosexuellen zum Klinkerwerk draußen in Sachsenhausen, dann werden wohl bald die Neonazis aller Länder vor der Neuen Wache aufziehen.
Käthe Kollwitz ließ ihren unmündigen Sohn in den Krieg ziehen, und zwei Jahrzehnte danach modellierte sie ihr kleines, privates Denkmal für den Gefallenen, wohl noch immer im „Nachsinnen“ über ihre eigene Schuld. Ihre vergrößerte Skulptur geriet zum öffentlichen Denkmal. Im Namen der Erben wies Arne Kollwitz auf die Unvereinbarkeit der „Pieta“ mit Militäraufzügen jeder Art hin. Ganz gegen die Absicht von Kohl hat das Bildwerk wohl den ersten Wachaufzug der Bundeswehr vor der Neuen Wache verhindert. Käthe Kollwitz wirkt, über ihre Zeit, als Bundesgenossin der Friedfertigen gegen Krieg und Gewalt. Die Kollwitz auch eine Komplizin gegen die Verherrlichung der Gewalt, gegen die klammheimliche Remilitarisierung der Stadt?
Der Denkmalstreit geht weiter. Noch sind die Flanken der Neuen Wache umstritten: Fahnenstangen oder Generale ist hier die Frage. Die Konservatoren wollen die restaurierten Standbilder der Generale Scharnhorst und Bülow am alten Standort postieren. Nach dem Plan Schinkels sollten die Feldherrn der Befreiungskriege, zusammen mit Blücher, Gneisenau und York auf der anderen Straßenseite, Spalier stehen an der „Via Triumphalis“ von der Königswache bis zum Königsschloß. Geht es nur um die Standbilder verblichener Feldherren?
Zum Geburtstag von „Marschall Vorwärts“ („... immer feste druff!“) lag vor dem Denkmal ein Kranz mit schwarzrotgoldener Schleife: „Dem Feldmarschall Blücher in ehrendem Gedenken. Die Offiziere und Feldwebel der Standortkommandantur“. Daneben lag ein noch schönerer Kranz von Hanna-Renate Laurien. In der „Blücherkaserne“ machte Eberhard Diepgen seinen Antrittsbesuch beim Bundeswehr-Jägerbataillon 581. Berlin gerät zur größten Garnison im Osten der Republik, und Werner von Scheven, der kommandierende General und Befehlshaber von Korps und Territorialkommando Ost, erklärte: „In einer Welt der Nationalstaaten ist Militär das stärkste Symbol der Staatlichkeit.“
Auf dem größten Straßenzug Berlins, zwischen Heerstraße und Zeughaus, begegnen uns Siegesgöttinnen in vielerlei Gestalt, als Viktoria mit Kanonen oder Viktoria mit dem Eisernen Kreuz. Kommt uns eine Pazifistin in der Neuen Wache nicht gerade recht? Würde die trauernde Muttergestalt – im Sinne der Kollwitz – angenommen, dann könnte sie über ihre Zeit und auch über ihr Gehäuse hinaus wirken.
Ihre Botschaft kann Schinkels altes Wachlokal in unserer Zeit zur wirklich neuen Wache machen, als Vermächtnis der Kollwitz, zur Wache gegen Krieg und Gewaltherrschaft. Neben den Inschriften im Portikus ist rechts und links im Kastanienwäldchen viel Platz für weitere Tafeln gegen die alltägliche Barbarei – und vor dem Portikus ein Ort der Mahnwachen für Menschenrecht und Friedenspflicht! Robert Frank
Der Autor ist Architekt, Planer und freier Journalist.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen