: „Die Buam san hungrig“
Deutschland-Cup im Eishockey / Rußland holte den Pokal, die Gastgeber wurden Vierte ■ Aus Stuttgart Matthias Kittmann
„Ich dachte, der ist schon im Museum“, rief jemand respektlos, als Xaver Unsinn am Samstag in der Stuttgarter Hanns-Martin- Schleyer-Halle aufkreuzte. Doch der „Xare“ nahm's gelassen und konterte trocken: „Nee, ich habe heute Ausgang.“ Mit dem Ex-Bundestrainer kam wieder etwas Fahrt in die ansonsten etwas laue Stimmung. Ihr erstes Spiel hatte die deutsche Mannschaft 2:3 gegen Schweden verloren, und weniger das Ergebnis als das Zustandekommen versprach nichts Erbauliches für die Zukunft. Die ohnehin schon lärmgeschützte Stimmung in der mit 3.000 Zuschauern mager besetzten Halle sank auf den Pegel eines Elektroautos.
Folgerichtig rief die mäßige Leistung die professionellen Auguren auf den Plan. Mit Fragen wie: „Wird Gerd Truntschka wieder ins Team zurückkommen?“ schmiedeten vermeintliche Experten fröhlich Zukunftspläne. Aber dann kam der „Xare“, und alles wurde gut. „Jo mei, ich habe schon immer gesagt“, lief er zu alter Form auf, „die Burschen da drüben in der DDR konnten schon damals Eishockai spielen.“ Überhaupt sei entscheidend, daß man mental gut drauf sein müsse, „und die Buam san hungrig, die wollen nach oben.“ Auslöser dieser Elogen war ein Ost-Jüngling namens Mirco Lüdemann, der beim 3:2 gegen die kanadische Olympiamannschaft zwei Tore schoß.
Damit hatten die Deutschen wenigstens das kleine Finale um den dritten Platz erreicht und eine drohende Blamage verhindert. Auch wenn die Mannschaft dann im Penalty-Schießen gegen die Finnen den kürzeren zog, hatten sich die Schweißperlen auf den Stirnen der Trainer Ludek Bukać und Franz Reindl verflüchtigt. Mit ihrer U24 -Auswahl, allein zehn Spieler haben dieses Alter noch nicht erreicht, waren sie ein nicht unerhebliches Risiko eingegangen. Im chronisch überalterten deutschen Eishockey ein Novum. Sogar der launische Didi Hegen ließ sich von dem Bewegungsdrang der Jungen anstecken, so daß Reindl verwundert feststellte: „Der sprüht ja wieder richtig vor Spiellaune.“
Die wichtige Erkenntnis für das Duo Bukać/Reindl lautete: „Die Kernmannschaft für die Olympischen Spiele steht.“ Besonders beeindruckt hat die Trainer, daß die Spieler den Zweikampf gesucht und bestanden haben: „Wer da zurückgezogen hätte, wäre aus dem Team raus.“ Vor allem scheinen endlich wieder vier gleichwertige Verteidigerpaare zur Verfügung zu stehen, und das stimmt Reindl für Lillehammer und die WM in Italien optimistisch: „Im Defensivbereich können wir jetzt mit jedem Team mithalten.“
Doch wer ist Lüdemann? Die meisten Beobachter waren von dem Auftritt des 19jährigen Youngsters wohl genauso überrascht wie er selbst. Schließlich hat er als Verteidiger für seinen Klub, den Kölner EC, in 17 Spielen gerade mal ein Tor erzielt und in Stuttgart sein allererstes Länderspiel bestritten. Aber – er kommt aus Weißwasser (s.o.), und da hat er schon zu DDR-Zeiten einen Traum gehabt: „Ich will in die National Hockey-League (NHL)!“ Mit Paul Coffey als Vorbild kaum verwunderlich. Keineswegs ausgeschlossen, daß er das tatsächlich schafft, denn mit 16 hat er sich in Kanada schon mal warm gespielt: „Nachdem die Grenze offen war, bin ich für zwei Jahre als Junior nach Fort McMurray, in der Nähe von Edmonton, gegangen.“ Als er dann zurückkehrte, hatte der ES Weißwasser keine rechte Verwendung für ihn, und so griff der KEC zu. Es macht sich offensichtlich bezahlt, daß Trainer Wassiliew dort auch den jungen Spielern Verantwortung überträgt. Denn bei seinem Treffer zum 3:1 gegen Kanada bewies der Verteidiger eine kreative Kaltschnäuzigkeit, die man sonst nur ausgebufften Profis zutraut. „Ich bin intuitiv in die ungedeckte Ecke gefahren. Geübt haben wir das vorher nicht.“
Genausowenig, wie er das Powerplay der Medienvertreter im „vierten“ Drittel bisher trainieren konnte. So waren dann seine Zikunftspläne an diesem Wochenende ganz konkreter Natur: „Ich will erst mal das Hotel unbeschadet erreichen.“ Zum Glück mußte er da nicht mit dem Drahtesel hinradeln. Denn im Kampf mit diesem gefährlichen Gegenspieler hat er sich seine bisher schwerste Verletzung zugezogen. Ein Schmiß auf der rechten Wange ist das bleibende Resultat. Zwei Kerben auf dem Schläger kommen jetzt dazu – doch die tun nur dem Gegner weh.
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