: Wer bringt Bosnien durch den Winter?
■ Vermittler Owen spekuliert über Einstellung der Hilfslieferungen, UNHCR dementiert heftig
Genf (taz) – Überlegungen zur Einstellung der Hilfslieferungen nach Bosnien- Herzegowina hat das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in Genf eine deutliche Absage erteilt. Statt dessen will das UNHCR im Verein mit anderen Hilfsorganisationen alles versuchen, um den drohenden Hunger- und Kältetod von im schlimmsten Fall mehreren 100.000 Menschen in den nächsten Wintermonaten zu verhindern.
Der EG-Vermittler für Ex-Jugoslawien, David Owen, hatte am Montag abend in Dublin erklärt, die Einstellung der humanitären Hilfe müsse erwogen werde, da sie zur Verlängerung des Krieges beitrage. Mindestens 30 Prozent aller Hilfslieferungen fielen in die Hände bewaffneter Gruppen. Eine UNHCR-Sprecherin wies diese Zahl als „extrem hoch“ zurück. Dem UNHCR seien keine offiziellen Vorschläge zur Einstellung der humanitären Hilfe bekannt.
Im kommenden, nach bisherigen Wetterprognosen voraussichtlich harten Winter müssen in Ex-Jugoslawien 3,93 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene mit Nahrungsmitteln, Medikamenten, warmer Kleidung und Heizmaterial versorgt werden; darunter allein in Bosnien 2,74 Millionen. Das ist eine Million mehr als im vergleichsweise milden Winter 92/93. Vom Tod akut bedroht sind vor allem die rund 600.000 Menschen in den zum Teil seit vielen Monaten von serbischen Truppen belagerten oder eingeschlossenen Städten wie Sarajevo, Srebenica, Goražde oder Zepa. Dort ist zumeist auch die Versorgung mit sauberem Wasser und Elektrizität zusammengebrochen, es droht der Ausbruch von Cholera und anderen Seuchen. Laut seinem letzten Spendenappell vom 8. Oktober benötigt das UNHCR für die Phase bis Juni 1994 696 Millionen US- Dollar.
Zusätzlich erschwert wird die Arbeit der Hilfsorganisationen durch die im Vergleich zum Vorjahr erheblich verschärfte Sicherheitssituation. Bis zum 31. Oktober 1993 wurden in Ex-Jugoslawien neben 60 Unprofor-Soldaten und 34 Journalisten bereits zehn MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen getötet. Hinzu kommen mancherorts Konflikte zwischen Hilfsorganisationen. Ein in Sarajevo ansässiger Korrespondent beobachtete in den letzten Wochen mehrfach, wie UNHCR-Mitarbeiter Lieferungen privater islamischer Hilfsorganisationen aus dem Ausland, die für bosnische Muslime bestimmt waren, beschlagnahmten. In der Genfer UNHCR-Zentrale werden solche Informationen dementiert.
Die amerikanische Regierung reagierte am Dienstag ablehnend auf die jüngste deutsch-französische Initiative zur schrittweisen Aufhebung der UNO-Sanktionen gegen Belgrad. Gestern wurden zwei von serbischen Milizen entführte hohe Beamte des bosnischen Innenministeriums freigelassen. Damit scheint der Weg für die Fortsetzung der Evakuierung serbischer Zivilisten aus Sarajevo frei. Derweil hat sich die Zahl der Todesopfer des von Serben bei einem Artillerieangriff auf eine Schule in Sarajevo angerichteten Blutbads auf neun erhöht. Andreas Zumach
Tagesthema Seiten 2 und 3
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