piwik no script img

Knochen unter Umlaufdruck

Seit Mittwoch ist der Prenzlauer Berg von Kopf bis Fuß auf Knochen eingestellt / 5.500 Knochen à 20 Mark im Umlauf / Kiezgeld gilt in 21 Läden  ■ Von Uwe Rada

„Wenn ich dich nicht kennen würde“, sagt der Wirt zum Gast und hält den Knochenschein gegen das Licht, „würd' ich dir nicht rausgeben.“ So aber muß er, und er tut es gerne. Schließlich ist die neue „Dezentralbank“ in der Oderberger Straße 2 nur wenige Häuser von Café EntwederOder entfernt, „und morgen“, sagt der Wirt, „morgen bekomme ich eine Liste mit den neuen Geldscheinen, dann weiß auch ich, ob jemand schummelt oder nicht“.

Einmal um den ganzen Berg und die Taschen voller Knochen. Wer da an Jurassic Park denkt, ist selber schuld, Wörgler Schwundgeld heißt das Zauberwort, und der Knochen ist die Währung. Zumindest im Prenzlauer Berg. Und in der „Kommandantur“: Die Nachwendeautonomenkneipe am Wasserturm, einst gerühmt ob ihrer in den Fußboden einbetonierten Aluchips, ist am Mittwoch abend knochenvoll. Gespannt ist die Atmosphäre wie an jenem Vorabend des 1. Juli 1990, als man Abschied feierte vom Bekannten, um unsicheren Schrittes in die Zukunft zu treten. Dreieinhalb Jahre später nun hat die feuchtfröhliche Zukunft einen knochentrockenen Namen. Anfangs unsicher noch, nimmt die Tresenfrau den Knochenschein beim zweiten Gast schon souverän entgegen. Boney makes the world go round. Neben der etwas deplazierten Discokugel wurde an diesem Abend erstmals das langersehnte Kiezgeld in den Umlauf gebracht. Prenzeltime – Knochentime: „Die Währungsdiffusion“, meint man hier beim Bier, „ist aus der Taufe gehoben.“

Die Idee ist so einfach, daß nur Künstler darauf kommen können. „In der Kneipe mit Bert Papenfuß“, meint G.P. Adam, höchstschweizerisch gesuchter Geldbeschmutzer, habe er gesagt, daß er immer Geld verliere. Was einfacher also, als eigenes in Umlauf zu bringen.

Der Name rühre, so die Künstler, von Diogenes: Der nämlich habe vor Zeiten aus seiner Tonne heraus vorgeschlagen, Geld aus Knochen herzustellen, um einen flüssigen Umlauf des Geldes anzuleiern und somit Verschatzung zu erschweren. Von derartiger Schlichtheit bestochen, haben 55 Künstler, darunter Staeck, Penck und Jaeggi, den richtigen Riecher bewiesen und ihr eigenes Geld entworfen.

Seit dem 10. November nun sind Knochenvaluta im Wert von 110.000 Mark im Prenzelberger Umlauf. In 21 Läden im Kiez kann künftig der Knochen begraben werden. Ob in einschlägigen Szenekneipen, Plattenläden, dem Spätkauf in der Kastanienallee, Ostkost in der Lychener oder „alles mögliche“ in der Schliemannstraße, alle sind von Kopf bis Fuß auf Knochen eingestellt, und sonst gar nichts. Anarchie in Germoney?

„Das Problem am Geld ist ja, daß es wegen der Zinsen gehortet wird“, sagt Klaus Schmitt. „Und die Zinsen wiederum gibt es nur, weil das Geld gehortet werden kann.“ Deshalb müsse Geld im Grunde immer im Umlauf sein, was dadurch gewährleistet werden könne, daß sein Wert mit der Zeit schwinde. Klaus Schmitt ist Autor eines Buches über Silvio Gesell, den anarchistischen Währungshüter der zwanziger Jahre, und zugleich auch ein Sympathisant von Keynes: „Die meisten halten Keynes für einen Verfechter des Kapitalismus“, sagt Schmitt und beweist das Gegenteil. „Die Kapitalrentner“, zitiert er Keynes, „werden eines sanften Todes sterben.“

So weit ist es aber auch im Prenzlauer Berg noch nicht. Und wer hinter der am Mittwoch feierlich eröffneten Session „Künstler machen Geld“ die neueste Antimonopolistenaktion der Initiative „Kauf im Kiez“ vermutete, lag ebenfalls falsch: Mehr als einer Offensive anarchistischer Währungsdiebe glich das Happening einer medial und damit geschickt inszenierten Vernissage mit den immer gleichen Kunstgesichtern. Unter dem Motto „Es gibt viel zu zahlen, sacken wir's ein“, eröffnete Christoph Tannert, einst DDR-Underground-Kulturtheoretiker, zum Noisecore-Sound der Knochengirls den goldenen Mittwoch, und die zahlreich erschienene Prominenz von A wie Anderson bis Z wie Zocker-Ede stürzte sich mit Verve auf den schönen Schein der Neunziger.

Dem Umlaufdruck ging freilich gleich am ersten Abend die Puste aus. „Was ich damit mache? Behalten, was denn sonst“, grinste eine Frau den Kameras in die Linse. Zwar wurde frei nach Gesell verfügt, daß das Geld, so man es nicht ausgibt, jede Woche an Wert verliere, doch „im Grunde“, sagt eine Besetzerin des nahen Künstlerhauses „Wawavox“ in der Kastanienallee, „ist das mehr ein PR- Gag der Künstler als ein ernstzunehmender Versuch, tatsächlich die Idee eines zweiten Geldumlaufes in die Praxis umzusetzen“. Kein Wunder, daß die autonomen Künstler von „Wawavox“ dem Ganzen skeptisch gegenüberstehen. „Zuerst haben wir uns über die Aktion gefreut“, meint die Besetzerin, „dann aber maßlos geärgert.“ Das Ergebnis, meint sie, sei „flapsig, elitär und typisch künstlerisch“. „Wenn man das ernst nehmen würde“, meint ein anderer Besetzer, „müßte man wie in England den ganzen Kiez in die Sache miteinbeziehen.“ Mit den „local exchange trading systems“ hat man in Großbritannien bereits in 200 Gemeinden gute Erfahrungen gemacht und dem Geldverfall durch Zins und Steuer das ein oder andere Schnippchen geschlagen. Davon ist allerdings bei der Knochenaktion weniger die Rede. „An eine Ausweitung der beteiligten Läden ist nicht gedacht“, sagte Bert Papenfuß, Prenzeldichter und Initiator der Aktion, und erklärte gleich, warum: „Wir würden sonst die Kontrolle verlieren.“ In der Tat scheint die Angst vor möglichen Fälschern groß zu sein. Durch einen Katalog aller Scheine, heißt es, habe man vorgesorgt, daß „die Streuner der arbeitslosen Künstlerreserve keine Phantasiescheine in Umlauf zu bringen suchen“.

Die „Dezentralbank“ in der Galerie „O 2“ in der Oderberger Straße ist jedenfalls dem Ansturm auf das Knochengeld gewappnet. Jeden Mittwoch zwischen 17 und 20 Uhr kann man hier einen der 55 verschiedenen Knochenscheine im Wert von 20 Mark erstehen. Und jeden Mittwoch müssen nicht nur die beteiligten Kneipen und Geschäfte mit der „Bank“ abrechnen, sondern auch diejenigen ihren Knochenschein mit einer Wertmarke aufwerten, die es versäumt haben, das Geld binnen einer Woche zu reinvestieren. Trotz dieser Maßnahmen bleibt offen, ob aus dem goldenen Mittwoch am Ende nicht doch ein zumindest lokaler schwarzer Freitag wird. „Wo ist denn der nächste Farbkopierer“, fragte ein Kneipenbesucher der „Kommandantur“ und meinte kopfschüttelnd: „Anarchismus ist auch nur eine Arabesque des Kapitalismus.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen