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Laß die Hirnhälften hüpfen

■ Brain-Gym: Streßfrei und frohgemut dank Kinesiologie / Ein weiterer taz-Selbstversuch

Die Mobilisierungsverlockungen für den Feierabend sind grenzenlos: Wir stretchen, feldenkreisen, eurythmiesieren. Und während wir noch schnaufend neue Bewegungsabläufe trainieren, surft schon der nächste Trend an die Oberfläche des Fitnesspools.

Brain-Gym zum Beispiel. Was als „Gehirnturnen“ niemals genug Auftrieb bekäme, um überhaupt wahrgenommen zu werden, firmiert wohl aus Imagegründen auf englisch. Und ist eine der zartesten Versuchungen, seit es Stretching gibt: Lernblockaden aufzulösen verspricht die Werbung, und Lernfähigkeit zu optimieren. Mit Bewegung, versteht sich.

Sich regen bringt Segen, denke ich — und erkläre mich zum Testfall. Ein Griff in meine ganz persönliche Blockadenkiste fördert schnell ein Problem zutage, dessen ich mich auch öffentlich bezichtigen kann: Ich vergesse Namen. Und zwar alle Namen, völlig unabhängig von der Sympathiefrequenz, die mich mit der jeweiligen Namensträgerin verbindet.

„Das macht Streß“ — Elsa Hollweg, kinesiologische Lern- und Sprachberaterin in Schwachhausen, versteht mich sofort. Und gleich bin ich versucht, mein Mißtrauen gegen diesen unbekannten Sport abzulegen um mich in spontaner Dankbarkeit unter ihre Fittiche zu begeben. In der Obhut dieser zierlichen Frau ließe ich notfalls mein Hirn seilspringen.

Aber dazu kommt es nicht. Statt dessen werde ich mit Hilfe einer Meridianmassage stabilisiert: Die Beraterin umfährt meine gesamte Körperlänge vom Fuß aufwärts. Und außerdem habe ich eine Hausaufgabe nötig — all das verrät meine Muskelspannung.

Aber zuvor stehe ich in Elsa Hollwegs dezent möbliertem Beratungszimmer, hebe den Arm, bin „ganz da“, gebe ein „nein“, gebe ein „ja“ — und bewege dabei nicht einmal die Lippen. Denn die gelernte Buchhändlerin, studierte Literaturwissenschaftlerin und anwendende Kinesiologin Elsa Hollweg liest nach chiropraktischer Art aus meinen Muskeln. Genauer: Per Augenschein und Anfassen mißt sie die Spannung in meiner Armmuskulatur. Denn die ist ihr der Schlüssel zu meinem Problem.

Auf Geheiß stelle ich mir nun Schönes vor — ich denke an Kuchen. Und beschwöre dann als Streßauslöser das Gesicht eines wohlbekannten, aber Namenlosen. Damit für Elsa Hollweg der Namensstreß im Oberarm spürbar wird. Dann hebt sie meinen Arm an, zieht in leicht nach vorne und schiebt ihn zurück — „Pinguin“ heißt die Übung, bei der sie entdeckt, daß ich aus dem Lot bin.

Aber wenigstens stimmt meine „Zielfindung“, wie es auf kinesiologisch heißt: Ich will wirklich Namen lernen. Darauf kommt es der Kinesiologin an, die auch mit Kindern arbeitet: „Wenn das Kind selber nicht besser lernen will, dann kann ich nichts für es tun.“ Da klingt Elsa Hollweg sehr entschieden.

„Mit Therapie hat das alles nichts zu tun“, betont Elsa Hollweg: „Ich kenne meine Grenzen.“ Das glaube ich ihr — denn meine erste Sitzung habe ich überstanden, ohne mein Inneres nach außen zu kehren. Auf Namen und Gesichter beschränkte meine Beraterin die Störungsfahndung, und sprach von „linker und von rechter Gehirnhälfte, die nicht gut miteinander korrespondieren.“

Und weil ich ein einfacher Fall bin — zu ihrem und zu meinem Erstaunen — kann sie mich schnell wieder ausgleichen. Ein letztes Mal noch soll ich mir im Geiste bekannten Gesichtern begegnen und sie mit Namen begrüßen. Und hebe abschließend meinen Arm, bin „ganz da“ und gebe ein „nein“ und ein „ja“, während die Kinesiologin fachfrauisch daran drückt.

Dann bin ich entlassen. Drei Wochen lang soll ich einmal täglich zwei Akupunkturpunkte drücken. Das haben meine Muskelreflexe über mich verraten. Und mir ist es recht: Soviel Gymnastik kann nicht schaden. Und wenn ich dann noch die wichtigsten Namen behalte, will ich froh sein. Nein, die Kinesiologie arbeitet mit Affirmation. Und also ermuntere ich mich: DANN BIN ICH FROH. Das weiß ich, ohne meine Muskeln zu fragen. Eva Rhode

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