■ Press-Schlag: Der neunte Kreis der Hölle
„Es wird sicher Ärger geben“, sagt ein Funktionär des nordirischen Fußballverbandes. „Fans werden aus Südirland kommen, obwohl das völlig bescheuert ist. Man wird sie an ihrem Akzent erkennen.“ Offiziell ist für das WM-Qualifikationsspiel zwischen Nordirland und der Republik Irland, das morgen abend im Belfaster Windsor Park stattfindet, kein einziges Ticket nach Südirland verkauft worden.
Der Dubliner Verband beschloß in der vergangenen Woche, die ihm zustehenden 400 Karten verfallen zu lassen. Und der nordirische Verband ersann eine weitere Sicherung gegen unwillkommene Gäste: Eintrittskarten für das morgige Match wurden nur in Verbindung mit einem Ticket für das eher unattraktive Spiel Nordirlands gegen Lettland abgegeben, das im Oktober stattfand und prompt ausverkauft war. Dennoch blieben damals 4.000 Plätze leer. Der Funktionär befürchtet, daß südirische Fans sich einen Großteil dieser Eintrittskarten unter den Nagel gerissen haben. Die Sitzplätze, um die es geht, sind über das ganze Stadion verstreut – ein Alptraum für die Polizei.
Fußballspiele in Belfast sind selbst in ruhigeren Zeiten eine hochsensible Angelegenheit. Doch seit der Eskalation der Gewalt im Oktober, als binnen einer Woche 23 Menschen starben, gleicht Belfast einem Pulverfaß. Andererseits, so argumentierte ein Dubliner Journalist, steht es nach dem Massaker, das protestantische Paramilitärs in einer Katholikenkneipe angerichtet haben, in der Mordbilanz unentschieden, so daß das Fußballspiel vielleicht ungestört über die Bühne gehen kann.
Die Nordiren wollen ihren langjährigen Trainer Billy Bingham würdig verabschieden. Für die Südiren steht mehr auf dem Spiel: Sie benötigen einen Sieg, um Spanien oder Dänemark das Ticket für die Weltmeisterschaft 1994 in den USA wegzuschnappen. Deshalb gab es lautstarke spanische und dänische Proteste, als es vor zwei Wochen hieß, das Spiel solle aus Sicherheitsgründen nach Manchester verlegt werden. In der feindseligen Atmosphäre des Windsor Parks stehen die Chancen für Nordirland – und damit für Spanien und Dänemark – deutlich besser.
Es sind jedoch nicht nur die Fans aus der Republik Irland, die den Organisatoren Kopfschmerzen bereiten. Der Windsor Park in Belfast ist vermutlich das einzige Stadion der Welt, wo selbst die heimischen Fans voneinander getrennt werden müssen. „Für Katholiken ist der Windsor Park etwa so einladend wie der neunte Kreis der Hölle“, sagt Fußballfan Paul O'Kane aus Belfast. Schon als Kind haben ihn seine Brüder zu Länderspielen mitgenommen. „Ich konnte meinen Vornamen behalten, weil er neutral ist“, sagt Paul, „aber meine Brüder Michael und Kevin mußten sich im Stadion Sam und Bill nennen.“ Die Fangemeinde des nordirischen Teams besteht überwiegend aus Protestanten, viele Katholiken nennen das nordirische Team „Billy's Bigots“.
Der Windsor Park liegt mitten im „Village“, einem schummrigen protestantischen Ghetto, dessen schmale Gassen mit Wandgemälden bewaffneter Paramilitärs und rotweißblauen Bürgersteigen verziert sind. Die Polizei wird das Viertel in einem Umkreis von einem Kilometer um das Stadion herum absperren. Jeder Zuschauer wird auf dem Weg zum Windsor Park mindestens viermal kontrolliert. Die Sicherheitsvorkehrungen sind freilich kein Novum: Seit Gründung der nordirischen Liga trägt der FC Linfield seine Heimspiele im Windsor Park aus. Bis vor zwei Jahren durften Katholiken dem Verein nicht beitreten. Das Verbot wurde erst auf Druck der FIFA aufgehoben. Gastmannschaften aus katholischen Gegenden hatten im Windsor Park noch nie etwas zu lachen. Im Dezember 1948 zerrten Zuschauer den Stürmer von Belfast Celtic, Jimmy Jones, auf die Tribüne und zertrümmerten ihm ein Bein. Und als vor drei Jahren ein anderes Amateurteam aus dem katholischen West-Belfast, Donegal Celtic, im Windsor Park gastierte, erging es den Spielern kaum besser: Einer wurde von Zuschauern zusammengetreten, ein anderer von einer Apfelsinenkiste getroffen. Das Team der Republik Irland muß sich morgen auf allerhand gefaßt machen. Ralf Sotscheck
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