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Libanon unter Raketenbeschuß

Israelische Soldaten und libanesische Guerillas lieferten sich die schwersten Gefechte seit Juli / TV-Sender der Hisbollah in Baalbek bombardiert / Spekulationen über die Rolle Syriens  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Die fast schon zur Routine gewordenen Zusammenstöße im von Israel besetzten südlichen Libanon eskalierten am Dienstag zu den intensivsten Kämpfen seit Ende Juli. Libanesische Guerillas, vor allem der schiitischen Hisbollah, und von Söldnern der Südlibanesischen Armee (SLA) unterstützte israelische Soldaten lieferten sich blutige Gefechte. Israel setzte dabei Hubschrauber, Panzer und schließlich auch Kampfflugzeuge ein. Diese beschränkten ihre Angriffe nicht auf den Süden Libanons, sondern bombardierten auch ein Ausbildungslager und einen Radio- und Fernsehsender der Hisbollah im Bekaa-Tal bei Baalbek, nahe an der libanesisch-syrischen Grenze.

Zwei israelische Soldaten wurden in ihren Stellungen in Südlibanon, unweit der israelischen Grenze, von Katjuscha-Raketensplittern verletzt. Zwölf Soldaten der SLA ergaben sich der Hisb-Allah. Der Fernsehsender der Organisation zeigte trotz der Beschädigung durch die israelischen Angriffe Bilder von der Eroberung einer SLA-Stellung und der Gefangennahme von SLA-Soldaten.

Die Hisbollah gab an, acht Stellungen der SLA in dem von Israel besetzten Südlibanon angegriffen zu haben. Sprecher der Organisation betonten jedoch, daß sie keine Raketen auf israelisches Gebiet abfeuern würden. Diese Bedingung war Ende Juli mit Hilfe des US-Außenministers Warren Christopher ausgehandelt worden, um den damaligen israelischen Großangriff zu beenden. Dieses „stille Abkommen“ läßt der Hisbollah und anderen Widerstandsgruppen praktisch freie Hand im Kampf gegen SLA und israelische Truppen im Südlibanon.

Israelische Regierungsmitglieder brachten die Offensive der Hisbollah in Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin in den USA und der bevorstehenden Nahost-Reise des US- Außenministers. Dieser will Anfang Dezember vor Ort aktiv werden, um Syrien und den Libanon in den Friedensprozeß einzubeziehen. In Jerusalem wurde behauptet, der Hisbollah-Angriff sei eigentlich ein syrisches Signal. Syriens Staatschef Assad habe demonstrieren wollen, daß er nicht beabsichtige, nur eine Nebenrolle zu spielen. Gleichzeitig wurde in Israel spekuliert, die Eskalation könne auch „zu Ehren des Tages des islamischen Märtyrers“ stattgefunden haben. Schließlich befinde sich der Chef der Hisbollah, Scheich Hassan Nasrallah, zur Zeit auf Besuch in Teheran.

Am letzten Tag seines Aufenthalts in Washington erklärte Rabin am Dienstag, Israel sei zur Zeit vornehmlich mit der Realisierung des Vertrags mit der PLO beschäftigt. Mit Syrien will er einstweilen nur Geheimkontakte anbahnen. Rabin verlangt von Syrien auch, daß es das „Gaza-Jericho-Abkommen“ zwischen der PLO und Israel unterstützt. „Die Syrer müssen erst beweisen, daß sie die Entscheidung eines anderen arabischen Partners unterstützen, der Friedensabkommen mit Israel schließt“, erklärte Rabin. Er machte Syrien auch dafür verantwortlich, daß Libanon keine Schritte unternimmt, um die Hisb-Allah zu entwaffnen. Nach einer Entwaffnung der Gruppe sei es möglich, israelische Truppen aus dem südlichen Libanon zurückzuziehen, erklärte Rabin. Danach könnte binnen drei Monaten Frieden zwischen Israel und dem Libanon geschlossen werden. Im Washingtoner Presseclub sagte Rabin, der israelischer Luftangriff bei Baalbek sei eine Botschaft an die Syrer. In Jerusalem erklärte ein Regierungsprecher, Damaskus stände hinter dem Hisbollah-Angriff und die Syrer wollten damit demonstrieren, „daß Syrien noch fest im Sattel sitzt“.

Halbamtliche israelische Stellen vermuten, daß Präsident Assad besonders beunruhigt über die Resultate ist, die Rabin in den Gesprächen mit US-Präsident Clinton erzielt hat. Dieser hatte zugesagt, den Israelis 20 Kampfflugzeuge vom Typ F-15 E zum Stückpreis von 100 Millionen US-Dollar zu verkaufen.

Rabin hat Clinton gebeten, Syrien „zu zügeln“, bis Israel die Verhandlungen mit den Palästinensern und Jordaniern abgewickelt hat. Die US-Regierung erklärte sich damit einverstanden, warnte jedoch vor den Gefahren eines zu langen Aufschubs. Allen Seiten ist inzwischen klar, daß angesichts der entstandenen Lage produktive Friedensverhandlungen zwischen Syrien und Libanon auf der einen und Israel auf der anderen Seite nur mit Intervention und Schlichtung aus den USA eingeleitet werden und vorwärtskommen können.

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