: Bauchlastig und hedonistisch
„It's so gudd“: Die saarländische Landeshauptstadt Saarbrücken hat es sich in der südwestdeutschen Nische bequem gemacht. Zeit zum Essen und Feiern ist hier Bürgerpflicht ■ Von Robert Zimmer
Im letzten Jahr lachte dem Besucher Saarbrückens an allen Ecken der Stadt das Sonny-Boy-Gesicht Eric Wynaldas, des kalifornischen Stürmerstars vom 1. FC Saarbrücken, entgegen: In reinstem Saar-Englisch warb er für einen einheimischen Fleisch- und Wursthersteller mit dem Slogan: „It's so gudd!“ Mit diesem Statement traf er mitten ins Herz der Saarbrücker Befindlichkeit. Saarbrücker Mentalität ist nicht kopf-, sondern bauchlastig. Anders als die benachbarten alten Bischofsstädte Mainz, Trier und Metz war Saarbrücken immer ein weltlicher Ort, der Sinnlichkeit zugewandt. Obergenießer Johann Wolfgang Goethe schloß bereits beim Anblick der Residenzanlagen auf einen „lebenslustigen Besitzer“ und lobte die erfahrene Bewirtung.
Nach 200 Jahren Konfliktgeschichte als Zankapfel in deutsch- französischen Grenzkonflikten scheint Saarbrücken dort wieder angekommen, wo sich die Stadt bereits im 18. Jahrhundert befand: in einer selbstzufriedenen Nischenexistenz als residentieller Mittelpunkt eines peripheren Kleinstaates. Saarbrücker reagieren auf Kritik an ihrer Stadt mit Mitleid für den Kritiker, dem es nicht vergönnt ist, die beste aller Welten würdigen zu können.
1793 besetzten französische Revolutionstruppen die Stadt und beendeten die Eigenstaatlichkeit des kleinen Fürstentums Nassau-Saarbrücken. Seit 1815 preußisch, war die Stadt im 20. Jahrhundert nicht nur Frontstadt, sondern auch Zentrum zweier Abstimmungskämpfe an der Saar: 1934 bei der Wahl zwischen Völkerbundsmandat und reichsdeutschem Anschluß und 1955 zwischen französisch dominiertem europäischem Statut und Eingliederung in die westdeutsche Bundesrepublik. Doch dies ist Vergangenheit: Ihre Zukunft sieht die Stadt in der zaghaft entstehenden europäischen Saar-Lor-Lux- Region (Saarland- Lothringen-Luxemburg) im Herzen der EG.
1909 schuf man durch Zusammenschluß der ehemaligen Residenz Saarbrücken, der Bürger- und Handelsstadt St. Johann sowie der Arbeiterstadt Malstatt- Burbach die südlichste Großstadt Preußens. Noch heute haben die Stadtplaner Mühe, diese heterogene Stadtlandschaft zu einem einheitlichen urbanen Raum zu gestalten. Für den Besucher erschließt er sich am ehesten in einer Begehung der innerstädtischen Plätze, die zum Teil erst in den letzten 20 Jahren angelegt oder neu gestaltet wurden.
Warum nicht auf dem kleinen Max-Ophüls-Platz beginnen, benannt nach dem aus Saarbrücken stammenden und vor den Nazis nach Frankreich emigrierten Filmemacher? Der Platz ist Tor zum Nauwieser Viertel, im Herzen von St. Johann. Hierhin zogen Ende des 19. Jahrhunderts kleine Kaufleute und Handwerksbetriebe, die die hohen Mieten um den St. Johanner Markt nicht mehr bezahlen konnten. Heute hat sich das Viertel zu einem lebendigen Zentrum der Alternativ- und Kleinkunst entwickelt, wobei sich die kleinteilige Infrastruktur erhalten hat.
Neben diesem intakten städtischen Lebensraum hat sich Saarbrückens Puppenstube um den St. Johanner Markt entwickelt. Hier, mitten in der eigentlichen City, wurde nach westdeutschem Altstadtmuster das ehemalige Puffviertel zur Fußgängerzone und Freßmeile schicksaniert.
Die älteste, auf den Habsburger Karl V. zurückgehende, im 16. Jahrhundert erbaute Brücke führt auf die linke Saarseite, in das traditionelle Residenzviertel der Stadt, wo heute noch Landtag und Landesregierung ihren Sitz haben. Vor dem renovierten Schloß (mit dem inzwischen viel gerühmten neu geschaffenen Mittelteil des Architekten Gottfried Böhm) hat man in der Tradition der klassizistischen französischen Platzarchitektur den Schloßplatz nach alten Plänen neu gestaltet. Er heißt seit jüngstem „Platz des unsichtbaren Mahnmals“.
Im Jahre 1990 begann der Saarbrücker Kunstprofessor Jochen Gerz mit einigen Studenten damit, die Unterseite der Pflastersteine mit den Namen sämtlicher ehemaliger jüdischer Friedhöfe in Deutschland zu beschriften. Dies geschah zunächst nachts und ohne Absprache mit den Behörden, wurde dann aber durch einen Landtagsbeschluß im August 1992 nachträglich legalisiert. Der Platz eignet sich in besonderer Weise für eine solche geschichtsmahnende Aktion: Das Saarbrücker Schloß war nicht nur Jahrhundertelang Residenz der Fürsten von Nassau- Saarbrücken und ist heute noch Sitz von Verwaltungsbehörden, in ihm befand sich auch während der Nazizeit das Hauptquartier der regionalen Gestapo. Eine Gestapo- Zelle kann in dem neben dem Schloß neu errichteten Regionalgeschichtlichen Museum besichtigt werden.
Der Nanteser Platz westlich des Schloßensembles wurde in den 70er Jahren mit Bäumen und Bänken umgestaltet und wird heute zum Boulespielen genutzt. Saarbrückens schönster und kunstgeschichtlich bedeutsamster Platz ist aber der Ludwigsplatz mit der von Friedrich Joachim Stengel zwischen 1760 und 1769 erbauten Ludwigskirche, die in ihrer Mischung aus Barock und Klassizismus zunächst als lutheranische Hofkirche konzipiert worden war. Sie hat sich zum Saarbrücker Wahrzeichen entwickelt und liegt in unmittelbarer Nähe zur Staatskanzlei, wo Oskar I. seit 1985 in der Tradition des aufgeklärten Absolutismus regiert.
Saarbrücken hat begonnen, seine einst unansehnliche städtische Physiognomie patchworkartig zu reparieren. Doch die Stadt war nie eine Touristenattraktion. Sie lebt vielmehr im selbstzentrierten hedonistischen Grundgefühl ihrer Bewohner. Saarbrücken hat mit die höchste Kneipendichte in der Republik; Zeit zum Essen und Feiern ist hier Bürgerpflicht. Saarbrücker Studenten feiern nicht nur zu Beginn und zum Ende eines jeden Semesters, sondern veranstalten ihr „Mittsemesterfest“ gerade dann, wenn es eigentlich gar nichts zu feiern gibt. Eines der berühmtesten Saarbrücker Gasthäuser liegt bereits jenseits der südlichen Stadtgrenze auf französischem Boden: das „Restaurant Woll“, dessen langjährige Besitzerin, Margarete Woll, 1987 mit dem saarländischen Verdienstorden ausgezeichnet wurde. Denn: It's so gudd.
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