: Der Sog der leeren Zellen
■ Knäste öffnen, damit es weniger Verbrechen gibt? / Kriminalität in Bremen, 5. Folge
Der Knast ist ein absurdes System: Der Knast soll Kriminalität verhindern und schafft doch neue. Denn wer im Knast war, wird viel häufiger rückfällig als einer, der auf Bewährung verurteilt worden ist. Von den Ex-Knackis begehen innerhalb von fünf Jahren 60 Prozent der Erwachsenen und 80 Prozent der Jugendlichen erneut eine Straftat. Der ganze Spaß kostet im Jahr 2,2 Milliarden Mark, ein Haftplatz pro Tag rund 170 Mark. Die Betreuung von Verurteilten außerhalb des Knastes ist wesentlich billiger - und doppelt so wirksam: Hier werden nur 30 Prozent rückfällig, obwohl die Klienten sich nicht wesentlich unterscheiden, was die kriminelle Karriere anbelangt. Knackis raus - und es gäbe weniger Kriminalität? Darüber zum Beispiel stritten jetzt die TeilnehmerInnen eines „Kriminalpolitischen Runden Tisches“. Geladen hatte der Verein für Bewährungshilfe. Gekommen waren Polizeibeamte, SozialpädagogInnen, ein Psychiater, Gefängnisdirektoren ...
Und wer schützt die Gesellschaft
„Wäre es nicht eine größere Strafe und zugleich fruchtbarer, wenn sich der Täter seinem Leben stellen müßte: also einer verwahrlosten Wohnung, einem Berg Schulden, den kaputten Beziehungen“, fragte etwa die Sozialpädagogin Edeltraud Becke. Doch die ambulanten Hilfen werden in Bremen nicht weiter ausgebaut, sondern gekürzt. Und wer schützt die Menschen draußen, wenn die Knäste geöffnet werden? Nun nun, meint dazu Claus Bertram, Leiter der Bremer Bewährungs- und Gerichtshilfe, die meisten der Knackis, nämlich 80 Prozent, sitzen nicht wegen Gewalttaten ein, sondern wegen mittlerer Eigentumskriminalität: Viele haben mehrmals Einzeldelikte mit relativ geringem Schaden (unter 1.000 Mark) begangen. Nur bei 20 Prozent der Einsitzenden müsse man ernsthaft überlegen, ob nicht die Gesellschaft einen Anspruch habe, vor ihnen geschützt zu werden.
Zwar werden seit 1987 die Bremer Gefängniszellen um 500 auf 785 reduziert. Aber Claus Bertram reicht das nicht: „Immer dann, wenn eine Zelle frei ist, muß man sie zumachen - denn es gibt sowas wie einen Sog der leeren Zellen, daß sich also die Zahl der Inhafiterten immer der Haftkapazität anpaßt“.
Abschaffung der Knäste, das ist ferne Zukunft. Die Rückfallquote bei Straffälligen ließe sich auch auf diese Weise reduzieren: Indem man gegen die typischen Rückfallfaktoren Schuldenberg und Wohnungslosigkeit angeht. Beispiel Schulden: Im Schnitt kommt ein Gefangener mit 40.000 Mark Schulden aus dem Knast - Gerichtskosten plus Zinsen. Im Knast hat er keine Gelegenheit, diesen Schuldenberg abzuarbeiten. Denn als Arbeitslohn sind vom Strafgesetz nur etwa 1.50 Mark Stundenlohn vorgesehen. Die Knackis fordern schon seit langem eine richtige Entlohnung - damit ihr Selbstwertgefühl nicht noch weiter sinke, damit sie zum Beispiel auch zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitragen können... Doch die Lohnhöhe ist per Bundesgesetz geregelt, und auf Bundesebene tut sich derzeit nichts.
Beispiel Rückfallfaktor Wohnungslosigkeit: Rund 250 Bremer Strafgefangene werden jedes Jahr ohne eine Wohnung entlassen - das Sozialamt zahlt nämlich die bisherige Wohnung nur für längstens ein halbes Jahr weiter. Zwar hat der Justizsenator 110 Übergangswohnplätze für das erste halbe Jahr in der Freiheit geschaffen - doch die meisten haben auch nach einem halben Jahr keine Wohnung gefunden.
„Dieses System ist verstopft“, sagt Bertram. So sitzen in den Bremer Knästen mehrere Häftlinge, die eigentlich schon hätten entlassen werden können. Sie haben zwei Drittel ihrer Strafe abgebüßt und weisen eine „positive Sozialprognose“ aus. Doch weil sie keinen Wohnsitz nachweisen können, müssen sie im Knast bleiben. Auf die Parkbank mag kein Richter einen Häftling vorzeitig entlassen.
Wohnung und Arbeit sind zum Privileg geworden, sagt Friedhelm Stock vom Verein für Bewährungshilfe. „Wir haben immer mehr mit Leuten zu tun, die eigentlich in einer hoffnungslosen Situation stecken“, resümieren die in der Strafffälligenhilfe Arbeitenden. Immer seltener könne das klassische Ziel, die „Normalbiographie“ mit festem Wohnsitz und Arbeit, noch erreicht werden.
Christine Holch
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