: Somalia als Mittel zum Zweck
Längst wird als Folge des Bundeswehr-Engagements in Somalia eine deutsche Beteiligung an UNO-Einsätzen, wenn auch als humanitäre Aktionen deklariert, als Normalität erfahren. Eine Normalität, wie sie Rühe & Co. von Anfang an als Ziel vor Augen gehabt haben. Vor dem Hintergrund der für gestern abend geplanten Entscheidung über einen Teilabzug deutscher Blauhelme aus Belet Huen scheint daher die Debatte im Vorfeld des Somalia-Einsatzes im Rückblick anachronistisch.
Die deutsche Außenpolitik hat wieder einen Streitfall. Der Dissens schwankt zwischen den Positionen, „rasch den eigenen Hintern retten“, oder den Sitz im Sicherheitsrat in der Wüste aussitzen. Hinter diesem scheinbar „absurden Streit“ (Der Spiegel) zwischen Verteidigungsminister Rühe (CDU) und Außenminister Kinkel (FDP) verschwinden im Moment die grundsätzlichen Fragen über den Einsatz des Militärs außerhalb der Nato.
Der markanteste Punkt dabei: Obwohl die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Hauptsacheverfahren über den out-of-area-Einsatz der Bundeswehr noch aussteht, ist das öffentliche Bewußtsein bereits darüber hinweggegangen. Nach der Karlsruher Eilentscheidung zur deutschen Beteiligung bei den Awacs- Einsätzen über Bosnien hat die Bundesregierung wenn auch nicht de jure, so doch de facto freie Bahn. Im Rückblick scheint selbst die Debatte im Vorfeld des Somalia-Einsatzes anachronistisch. Nicht als Blauhelmeinsatz, sondern als humanitäre Aktion – analog zu Hilfe in Erdbebengebieten – wollten Rühe und Kinkel die Somalia-Intervention verstanden wissen. Deshalb die gewundene Diskussion um „befriedete Gebiete“, in denen die Bundeswehr lediglich operieren dürfe, und um den Infanterieeinsatz als „Selbstschutzkomponente“ – falls mal kein „echter“ Blauhelm in der Nähe wäre, um die Bundeswehrhelfer zu beschützen.
Seit in der letzten Woche die größte Oppositionspartei den Einsatz von Blauhelmen als innerparlichen Minimalkompromiß beschloß – SPD-Fraktionschef Klose wollte eigentlich durchsetzen, daß die Bundeswehr unter UN-Flagge auch zu Kampfeinsätzen ausrücken darf –, ist kaum anzunehmen, daß das Bundesverfassungsgericht nun zu der Einschätzung kommt, die Bundeswehr dürfe außerhalb des Nato-Vertragsgebietes in keinem Fall zum Einsatz kommen. Soweit, davon kann man wohl jetzt schon ausgehen, hat die Strategie der Bundeswehr: Fakten schaffen mit allen Waffen, durchschlagenden Erfolg gehabt.
Von einem deutschen Sonderweg aufgrund der besonderen deutschen Erfahrungen mit dem Einsatz militärischer Mittel ist keine Rede mehr. „Normalität“ gilt als politisches Ziel als solches. Dabei gibt es, wenigstens zur Zeit noch, Differenzen zwischen CDU und FDP oder auch zwischen Rühe und Kinkel darüber, was denn unter Normalität zu verstehen ist, beziehungsweise welcher Zustand als normal anzustreben ist. Der gegenwärtige Streit um den Zeitpunkt des Rückzugs aus Afrika ist ein Indiz dafür. Rühe befindet schlicht im deutschen Interesse. Aus seiner Optik hat der Bundeswehreinsatz seinen Zweck erfüllt: Die Deutschen haben Flagge gezeigt und einen zukünftigen Machtanspruch demonstriert.
Der bisherige Aufenthalt reicht dafür völlig aus, jetzt kommt es nur noch darauf an, möglichst alle Soldaten heil nach Hause zu bringen – je schneller, desto besser.
Kinkels Position ist weniger schlicht. Nicht nur weil er glaubt, als Außenminister international Rücksichten nehmen zu müssen, sondern wohl auch, weil seine Partei insgesamt eher dazu neigt, will Kinkel eine engere Kooperation mit der UNO – auch in der konkreten Frage des Rückzugs. Daß er dabei zur Zeit eine so unglückliche Figur macht, liegt vor allem an der katastrophalen UN-Politik in Somalia. Damit wird aber gleichzeitig eine Position geschwächt, die wenigstens minimale Konsequenzen aus den Erfahrungen des deutschen Militarismus ziehen will.
Während für Rühe Normalität nichts anderes bedeutet als die vollständige nationale Souveränität beim Einsatz der eigenen Truppen, wäre die FDP bereit, einer Grundgesetzänderung zuzustimmen, die den Einsatz der Bundeswehr außerhalb der Nato vom Votum des UN-Sicherheitsrates abhängig macht. Also Einsätze nur unter dem Dach der UNO. Was allerdings bewußt schwammig formuliert wird, um sich auch die Beteiligung an Kriegen offenzuhalten, die, wie beim jüngsten Golfkrieg, nicht unter UN-Kommando, sondern lediglich mit einer allgemeinen Zustimmung des Sicherheitsrates geführt werden. Die FDP will mit dieser Haltung den deutschen Anspruch auf einen Sitz im Sicherheitsrat untermauern, was laut Rühe „keine Eile hat“.
Die direkte Koppelung eines deutschen Truppeneinsatzes außerhalb der Nato an die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates ist den Außenpolitikern der Union sowieso ein Greuel. Mit dem Argument, „wir können uns doch nicht von der Zustimmung der Chinesen abhängig machen“, weisen die Weltpolitiker von CDU/ CSU dies als Zumutung empört zurück. Der Mißerfolg der UNO in Somalia wird dieser Position zweifellos weiteren Zulauf bescheren. Dahinter verschwindet dann die eigentlich entscheidende Frage für die Zukunft, was die Union denn mit der souveränen Bundeswehr anfangen würde. Die Antwort auf diese Frage kommt jedoch eher vom Balkan als aus Afrika. In der Diskussion um eine gemeinsame Außen- und Militärpolitik der Europäischen Union wollen Rühe und Co. in Konkurrenz zu Frankreich und Großbritannien nicht länger auf die Bundeswehr verzichten. Wer außer den ökonomischen nicht auch militärische Machtmittel aufzubieten hat, kann im zukünftigen „Europa der Vaterländer“ schließlich nicht die erste Geige spielen. Jürgen Gottschlich
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