piwik no script img

Britischer Draht zur IRA

■ Die Regierung in London gibt geheime Kontakte zu / Major braucht Stimmen der Unionisten / Anglo-irischer Gipfel

Dublin (taz) – Die britische Regierung hat seit Monaten geheime Kontakte zur Irisch-Republikanischen Armee (IRA) unterhalten. Das hat das Londoner Nordirland- Ministerium am Samstag abend in einer Presseerklärung zugegeben, nachdem der Sonntagszeitung Observer von einem nordirischen Unterhaus-Abgeordneten die entsprechenden Beweise zugespielt worden waren. Das Ministerium versuchte allerdings, die Bedeutung der Kontakte herunterzuspielen. „Der Regierung wurde Ende Februar diesen Jahres eine Nachricht von der IRA-Führung übermittelt. Diese Nachricht besagte, daß der Konflikt vorüber sei, aber sie unseren Rat benötigten, mit welchen Mitteln er beendet werden könnte“, heißt es in der Presseerklärung ominös. „Die Regierung mußte die Nachricht natürlich ernst nehmen.“

Bisher hatten sowohl Premierminister John Major, als auch Nordirland-Minister Patrick Mayhew jegliche Gespräche mit der IRA oder ihrem legalen Arm, Sinn Féin, abgestritten. Noch am vergangenen Montag hatte Mayhew gesagt: „Niemand ist bevollmächtigt worden, im Namen der britischen Regierung mit Sinn Féin oder irgendeiner anderen terroristischen Organisation zu reden oder zu verhandeln.“ Und Major hatte vor dem Unterhaus behauptet, daß sich ihm schon bei dem Gedanken an „Gespräche mit der IRA von Angesicht zu Angesicht der Magen umdreht“. Ein Regierungsbeamter bestätigte jedoch gegenüber dem Observer, daß Major die Kontakte persönlich abgesegnet hatte.

Der Beamte fügte hinzu, daß „die Ideologie der IRA eine ethische Dimension“ enthalte: „Die IRA tötet nicht ohne Grund. Wenn dieser Grund aus dem Weg geräumt werden könnte, wüßte ich nicht, warum das Töten nicht aufhören sollte.“ Zwar sind solche Sätze britischer Politiker überraschend, doch hat es schon seit 1989 neben der ständigen Verurteilung der IRA auch Zwischentöne aus London gegeben. Der damalige Nordirland-Minister Peter Brooke hatte im November 1989 gesagt, daß „die Regierung phantasievoll“ auf einen dauerhaften Waffenstillstand der IRA reagieren und neue Türen öffnen würde.

Mit diesen öffentlichen Erklärungen bereitete die britische Regierung den Boden für die Kontakte mit der IRA, die zunächst über Mittelsmänner geführt wurden und schließlich in einem direkten Gespräch mit dem Vizepräsidenten von Sinn Féin, Martin McGuinness, gipfelten. Bei diesem Gespräch am 22. März im nordirischen Derry tauschten beide Seiten Positionspapiere aus. Die Risiken für die britische Regierung seien offensichtlich, hieß es in dem Londoner Papier. Dennoch sei man bereit, sie auf sich zu nehmen. Weitere Gewaltakte der IRA könnten jedoch „eine möglicherweise historische Chance“ zunichte machen. Die Kontakte zu Sinn Féin und IRA wurden im Herbst abgebrochen, weil Major bei der Unterhaus-Abstimmung über die Maastrichter EG-Verträge auf die Stimmen der nordirischen Unionisten angewiesen war.

Die Enthüllung der geheimen Kontakte bereitet Major erhebliche Kopfschmerzen, kann er aufgrund seiner wackligen Unterhaus-Mehrheit doch auch in Zukunft nicht auf deren Unterstützung verzichten. Vermutlich wird er deshalb ihrer Forderung nachgeben und in dieser Woche einen parlamentarischen Sonderausschuß zu Nordirland einrichten – eine Maßnahme, die von Sinn Féin, den nordirischen Sozialdemokraten und der irischen Regierung abgelehnt wird. Der irische Premierminister Albert Reynolds, der voraussichtlich am Freitag im Rahmen des anglo-irischen Gipfels mit Major zusammentreffen wird, sprach am Samstag eine deutliche Warnung in Richtung London aus: Welche Seite auch immer darin versage, die Gelegenheit für Frieden beim Schopf zu packen, trage „die volle Verantwortung für das Todesurteil für Hunderte von unschuldigen Menschen“. Ralf Sotscheck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen