: Deutschlands Giftmülldeponie Albanien
■ Güterzug mit 217 Tonnen Pestiziden aus DDR-Produktion bedroht Umwelt Nordalbaniens / Töpfer will lecke Fässer entsorgen lassen / Insgesamt lagern in Albanien 3.600 Tonnen aus EU-Beständen
Berlin (taz/AFP/AP/dpa) – Giftige Chemikalien aus Deutschland bedrohen die Umwelt in Albanien. In einem Güterzug, der seit längerem in der Nähe von Shkodrasee an der nordalbanischen Grenze steht, lagert eine brisante Ladung: 217 Tonnen Pflanzenschutzmittel aus DDR-Produktion. Mehrere Fässer seien bereits durchgerostet und ein Teil der giftigen Substanzen in die Waggons ausgelaufen, haben Experten festgestellt.
Unter anderem, so soll es in einem für die Bundesregierung angefertigten Geheimbericht heißen, enthalte die Fracht 5,85 Tonnen des äußerst gefährlichen Gifts Taxophen. Schon ein Liter davon würde genügen, um in einem nahe gelegenen See alle Fische zu töten. Ein Brand in einem der Waggons hätte noch verheerendere Folgen: Je nach Windrichtung würde die entstehende Giftwolke auch Italien oder Montenegro bedrohen. Da es in Albanien keinerlei Entsorgungsmöglichkeiten gebe, so das Fazit der Experten, sei schnelle Hilfe aus Deutschland geboten.
Offensichtlich hat das Bonner Umweltministerium alles getan, um den Umweltskandal nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Erst als die Westdeutsche Allgemeine am Samstag unter Berufung auf das Geheimdossier über die drohende Umweltkatastrophe in Albanien berichtete, ging Minister Klaus Töpfer (CDU) in die Offensive und ließ den Pressebericht bestätigen: Die Pflanzenschutzmittel aus Deutschland stellten eine akute Gefahr für die Umwelt dar; der Minister habe bereits 1,4 Millionen Mark beantragt, um sofortige Sicherungsmaßnahmen einzuleiten. Nun werde überlegt, wie das Gift entsorgt werden könne. Töpfer und Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) hatten im September Abfallexperten nach Albanien geschickt, um die dort lagernden Fässer untersuchen zu lassen.
Die Pestizide wurden nach Angaben des Umweltministeriums im Auftrag von fünf Firmen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern als Wirtschaftsgut nach Albanien exportiert. Zwischen September 1991 und Juli 1992 wurden auf diesem Weg 750 Tonnen Pflanzenschutzmittel in dem Armenhaus Europas entsorgt, von denen jetzt noch rund 460 Tonnen dort lagern sollen. Die giftigen Pestizide, die früher in den Ostblockstaaten eingesetzt wurden, dürfen seit Januar dieses Jahres in den neuen Bundesländern nicht mehr verwendet werden. Die deutschen Lieferungen, betont jedoch das Umweltministerium, seien von albanischer Seite bestellt worden und damit legal gewesen. Die Westdeutsche Allgemeine behauptet dagegen, die Pestizide seien zum größten Teil illegal geliefert worden.
Die albanische Regierung schloß unter dem damaligen Ministerpräsidenten Ylli Bufi Ende 1991 einen Vertrag mit der Hannoveraner Firma Schmidt Kretan GmbH über die Lieferung von 456 Tonnen Chemikalien als humanitäre Hilfe. 265 Tonnen kamen laut offiziellen Berichten im Februar 1992 auf dem Seeweg in Durres an, wo die Hafenbehörden jedoch feststellten, daß das Verfallsdatum der Chemikalien bereits abgelaufen war. Im April ordnete die Umweltkommission der Regierung daraufhin den Rücktransport der gefährlichen Ware nach Deutschland an. Zum gleichen Zeitpunkt trafen 165 weitere Tonnen auf einem ungarischen Zug im Bahnhof von Bajza, 30 Kilometer nördlich von Shkodra, ein. Seitdem liegen sie dort fest. Nach offiziellen Angaben hat die albanische Regierung bereits 6.000 Mark in deutscher Währung an Ungarn bezahlen müssen, das seinen Güterzug zurückfordert. Der Zug wird von Soldaten bewacht, um zu verhindern, daß die Giftfässer gestohlen werden.
Albanien ist Europas größte Giftmülldeponie: Insgesamt lagern dort an mehr als hundert Orten rund 3.600 Tonnen Pflanzenschutzmittel aus Beständen der Europäischen Union (EU) und der Weltbank, die nicht mehr in der Landwirtschaft eingesetzt werden können. Die EU soll bereits Konsequenzen gezogen und ein Programm zur Entsorgung dieser Pflanzenschutzmittel angeregt haben. es
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