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Beim Barte des Psychologen

■ In Ingvar Ambjörnsens neuem Buch geht es nicht nur um denselben

„Gammel Dansk“ ist eine Schnapsmarke. Im Verbund mit sehr viel Bier, Kiffen, Dösen und Grübeln sehr gut geeignet, um „die Idee der Sinnlosigkeit zu packen, am Leben teilzuhaben und ihm dann den Rücken zu kehren“. Mächtige Worte, die die Sinnkrise förmlich zur Tür hereinbitten. Nichts weniger als das unternimmt Ingvar Ambjörnsen in seinem neuen Buch „Das goldene Vakuum“. Er öffnet den Eingang zum Horrorkabinett einer Angstneurose, er rupft den Psychologen am Barte – kurz, er erlaubt Erzähler wie Lesern den Luxus, zusammenzubrechen.

Und dabei ein paar von den ewigen Fragen loszuwerden: Was ist Wirklichkeit, was ist das Ich? Und wie löst man das Problem des Bösen? Himmel, möchte man bestürzt fragen, wie geht man so abschreckend Philosophisches wohl am glücklichsten an? Der Erzähler, psychisch schon unterhalb der Wasserlinie vegetierend, weiß selber nicht mehr weiter. Sein Leben ist nur mehr ein Stück, durch das er ohne Drehbuch taumelt. Der junge Wilde auf Destruktionstrip driftet am Strand von Amrum herum und weiter durch die Pornokinos von Amsterdam, die Kneipen von Oslo, Hamburg und Dublin, wo das Inferno schließlich die Kinderstube verläßt. „Ich ist ein anderer“ hat beschlossen, nicht mehr „im massiven Illusions- und Abschweifungssystem“ zu handeln, wenngleich die Illusionsmaschine Fernseher sein liebstes Requisit darstellt. Der Zusammenbrechende, der auch hier den klassischen Verweigerer verkörpert, verachtet die Handlung des Stücks. Oh weh, möchte man erst mal seufzen, ist denn alles wirklich nur dazu da, um auf die Schnauze zu fallen, wie es unser Held anfangs glauben machen will? Hinter unschuldigen Codes wie „Milch“ und „Brot“ lauern für ihn „Zerstörungssysteme“. Genet goes Bukowski – via Freud? Da ist denn doch mehr dran.

Um es gleich zu sagen, Ambjörnsen dient dieses Mal nicht mit einem psychoanalytisch aufgeladenen Erwachsenen- oder Kinderkrimi. Er hat auch kein weiteres drolliges Trinkerbrevier für „schwerfällige Sicherheitsritter“ verfaßt. Mit „Das goldene Vakuum“ komplettiert der 1956 in Südnorwegen geborene Ambjörnsen nicht allein die ersten Zwanzig im Regal. Nach der Schule absolvierte er seine „informelle Ausbildung zum Schriftsteller“ als Setzer, Gärtner, Fabrikarbeiter und Pfleger in einer psychiatrischen Klinik. Ambjörnsen ist der erfolgreichste und bekannteste unter den jüngeren norwegischen Autoren, vieldekoriert und mehrfach verfilmt. Sein erstes Buch „23 Salen“, hierzulande bis heute leider nicht verlegt, erschien 1981 in Norwegen. Seit 1985 lebt sein geistiger Vater in Hamburg, das ihn offenbar inspiriert.

„Das goldene Vakuum“ ist eine Lektüre für „Mitneurotiker“, die im Überleben der Angst ihr „Examen in Demut“ abgelegt haben und wissen, worüber verhandelt wird. Der Wechsel zwischen Direktheit und Distanzierung schreibt dem Text seinen nebenbei nur schwer zu konsumierenden, unberechenbaren Rhythmus ein. Absurde Komik wird nicht gerade vermieden: Schon mal einen dänischen Seemannspastor erlebt, wie er das reine Böse im Porno sucht? Ambjörnsens Schilderung einer Krise versucht die „verzweifelte Liebe zur Auflösung“, den Strukturverlust und die Depersonalisierung herzubuchstabieren; in allen Ordnungen sieht dieser Erzähler eine innewohnende Tendenz zur Desorganisation. Alle Sprache ist nur zweifelhaft fragile Vereinbarung. Der Ausbruch aus den „Zerstörungssystemen“ läßt einen „Text ohne Sicherheiten“ entstehen, der nicht viel erklären kann oder will; sein Verfasser hat aber den Blick dafür wiedergefunden, wie „die Wirklichkeiten zusammengebunden sind“, die so rapide auseinanderfallen können.

Das klingt kompliziert und liest sich über kleine Strecken auch so. „Das goldene Vakuum“ ist, fast muß es nicht mehr erwähnt werden, ein romantischer Text, auch so etwas wie ein biographisches Bekenntnisbuch, das seine Krankheit als Metapher vor allem in einem norwegischen Irrenhaus gefunden hat. Ein hübsches Klischee, aber leider so bitterwahr wie das Leben selbst, denn wo anders ließe sich durchexaminieren, wie Menschen die Wirklichkeit anderer Menschen definieren und sich daran berauschen: „...gibt es eine Art Bedeutung im Ganzen, die tiefer reicht als nur bis zum Praktischen...?“ Eine nahezu biblische Ehrfurcht vor dem Sein paart sich in Ambjörnsens Neuling mit lähmender Skepsis gegenüber seinen Kodierungen, gegenüber einer Lage, in der „Zukunft die ganze Zeit korrigiert werden muß“. Ein norwegischer Oblomow vielleicht? Weit gruseliger: ein Spiel ohne klare Schmerzgrenzen. Ein Buch über die nahe Möglichkeit, Namenlos und Ohneland in einer Person zu werden, über die „Entromantisierung der Normalität“. Was wäre derzeit aufregender? Anke Westphal

Ingvar Ambjörnsen: „Das goldene Vakuum“. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Edition Nautilus, 128 S., geb., 26 DM.

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