■ Rosi Roland's wahre Geschichten: Der Antichrist im Innenressort
Wenn Sie demnächst den Innensenator beim Hufschmied treffen, dann wundern Sie sich nicht. Der Antichrist sitzt in einem großen Haus an der Contrescarpe und heißt Friedrich van Nispen. Nachdem sein erster Angriff auf die fromm-fröhliche Heilsarmee-Suppenküche für Junkies am Sielwalleck im Sande verlaufen ist, hat er nun zum zweiten Mal seine Schergen ausgeschickt, die Mildtätigen vom Samstag abend zu vertreiben.
Seit über einem Jahr steht Samstag für Samstag die Heilsarmee am Sielwalleck. Dort wird gebetet, gesungen, ab und an spielt auch mal ein Posaunenchor, aber was das Wichtigste ist: Es gibt Suppe oder Kaffee und belegte Brötchen für die Bedürftigen. Und von denen gibt es in der Gegend genügend. Aber selbst der beste Heilsarmist kann nicht in Frieden posaunen, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Wegen Klagen aus der Nachbarschaft hatte der Innensenator bei seinem Stadtamt anfragen lassen, ob denn eine Sondernutzungsgenehmigung für die Suppenküche vorliege. Lag keine, also gab es vor gut drei Wochen eine Sitzung beim Stadtamt. Den Verantwortlichen war es damals höchst peinlich, gegen die frommen Menschen vorgehen zu müssen, also erging der Beschluß: Der Beirat soll gefragt werden. Und der fand mehrheitlich, die Heilsarmee soll bleiben. Nur die FDP und „Wir im Viertel“ waren dagegen, von wegen Zentralisierung der Hilfsangebote für die offene Drogensene.
Es hätte also alles wunderbar so bleiben können wie bisher, wenn da nicht das Böse an der Contrescarpe wäre. Und das schläft bekanntlich nie. Also kamen Anfang dieser Woche abermals hohe Beamte im Stadtamt zusammen: Jürgen Becker, zuständig fürs Versammlungswesen, Ortsamtsleiter Dietrich Heck, Manfred Krupski für den Innensenator und der Vier-Sterne-Polizist Bothe, Leiter des dritten Reviers. Und natürlich mit von der Partie: Leutnant Allroggen von der Heilsarmee. Auf dem Tisch lag ein Brief von der Polizei. Der Leiter der Schutzpolizei hatte mittlerweile schriftlich zum Thema Heilsarmee Bedenken geäußert: Konzentration der Drogenszene und das erweiterte Angebot durch die Suppenküche, den Protest der Anwohner, kurzum, die Heilsarmee bräuchte einen anderen Standort. Woher der Antrieb für das Schreiben kam, stand auch drin: Um dem „Willen der politischen Führung“ Genüge zu tun.
Ob die damit so glücklich war, das kann bezweifelt werden. Denn van Nispens Unterhändler Krupski hatte gerade einen anderen Kompromißvorschlag ausgeschlagen: Die Heilsarmee hatte angeboten, statt von 20-22 Uhr nur noch von 18-19 Uhr am Eck zu stehen. Krupski: „Nicht akteptabel. Also schlug der Polizist Bothe in der Runde vor: Die Suppenküche könnte ja an den Osterdeich umziehen, wo sich am Klohäuschen in der Nähe des Fähranlegers sowieso die Szene tummelt. Das fanden nun aber Ortsamtsleiter Heck und Joachim Becker vom Stadtamt unmöglich. Beim Standort Sielwall habe es Probleme gegeben, weil die Junkies über die Straße getorkelt seien. Man solle sich das doch mal am Osterdeich vorstellen, wo die Autos noch viel schneller fahren.
Nun war guter Rat teuer: So richtig traute sich in der Runde niemand, der Heilsarmee ihre tätige Nächstenliebe ganz und gar zu verbieten. Polizist Bothe druckste ein wenig verlegen, schließlich sei er sowieso der Meinung, daß das Viertel nie ganz frei von der Szene werden würde und daß es ganz andere Anziehungspunkte für die Junkies gebe, als ausgerechnet zwei Stunden Suppenküche am Wochenende.
Dann meldete sich Leutnant Allroggen zu Wort: Er kenne die Hintergründe dieses Streits nicht, aber er könne keinen Grund erkennen, warum er einen anderen Platz suchen sollte. Woanders gebe es dieselben Probleme, und schließlich habe ihn sein HERR dorthin gestellt. Aber wenn die Behörde meine, das verbieten zu müssen, bitte sehr. Die Bibel lehre, daß er der Obrigkeit Untertan zu sein habe. Im Übrigen wolle er aber doch einmal anfragen, ob denn Gottesdienste sondernutzungsgenehmigungspflichtig seien. Immerhin würde am Eck gebetet und gesungen. Das brachte den Vertreter des Stadtamts ins Schlingern. So genau könne er das nicht beantworten, schließlich sei die Religionsfreiheit im Grundgesetz verankert.
Das Böse ist überall und es schläft nicht. Wie tröstlich, wenn der HERR wenigstens ab und zu die Nase vorn hat. Resultat der Beamtenrunde: Es gibt zwar keine Sondernutzungsgenehmigung, aber einschreiten will das Stadtamt auch nicht. Die Heilsarmee soll geduldet werden, das soll dem Innensenator vorgeschlagen werden. Aber den hört man fast schon mit den Hufen scharren, pardon, mit dem Huf. In Vorfreude auf die nächste Runde, Ihre Rosi Roland
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