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Ein Millimeter weniger

Beim dritten Davis-Cup-Gewinn des deutschen Tennisteams war alles ganz anders  ■ Aus Düsseldorf Cornelia Heim

Auf diesen Sieg waren die Deutschen vorbereitet wie auf keinen der beiden vorherigen Davis-Cup- Gewinne. 1988 in Göteborg sprach alles gegen das deutsche Team, das gegen die Nummer eins, Mats Wilander, und die Nummer fünf, Stefan Edberg, eine Nummer vier, Boris Becker, und eine 74, Carl- Uwe Steeb, ins Feld schickte und gegen das routinierte Doppel Jarryd/Edberg eine Notgemeinschaft Becker/Jelen aufbot. Und trotzdem gewann. Der Geist von Göteborg war geboren. Er speiste sich, wie so gerne im Sport, in der Hauptsache daraus, daß David gegen Goliath obsiegte, und das auch noch ganz alleine. Es war ein überfallartiger Überraschungscoup. Die Anhänger mußten vor dem Fernseher feiern.

„Der Davis-Cup besticht“, meint Günther Bosch, „nicht wegen der spielerischen Qualität, sondern wegen seiner außerordentlichen Dramatik.“ Es ist wie in der Liebe: Beim zweiten Mal ist's nicht mehr so aufregend wie beim allerersten Male. 1989 in Stuttgart – wieder gegen die Schweden – war's lediglich ein Erfolg, den Tennisfreunde mit einer gewissen Erwartung wohlwollend zur Kenntnis nahmen.

„Die Deutschen hatten sich an Tennis und an Erfolgen satt gegessen“, konstatierte Ex-Becker-Manager Ion Tiriac, der vor vier Jahren noch Kaviar und Hummer auffahren ließ, zur Fütterung der Tennisgemeinde. Dann wurde gefastet. Und gelüstet. Nach dem dritten Erfolg, denn bekanntlich sind aller guten Dinge drei. Das dritte Mal ist bisher das letzte Mal, und das, so meint jedenfalls Ion Tiriac, sei immer das wichtigste – „auch wenn das erste Mal das schönste gewesen sein mag.“

Beim dritten Triumph war alles anders als zuvor. Seiner Wichtigkeit angemessen, wurde das Heimspiel mit deutscher Gründlichkeit zelebriert. In der Stunde der Sieger spielte in der Messehalle die Titelmelodie aus dem gleichnamigen Film. Die Lichter gingen aus, Leuchtdioden, die weitsichtige Zeremonienmeister beim Einlaß verteilen ließen, an und zuckten wie Glühwürmchen, nur grün, durch die Halle, die unter vielsagenden Klängen („The Final Countdown“) vom Tennisplatz zur Showbühne mit Laserperformance mutierte.

Gelöst konnte man auf Stimmung machen, weil die Sensation ausgeblieben und die vorher aufgemachte Rechnung aufgegangen war. „Uns hat das bessere Team geschlagen“, anerkannte der australische Kapitän Neale Fraser, der nach der Niederlage seinen Rücktritt bekanntgab, die spielerische Überlegenheit. Der deutsche Erfolg war vorprogrammiert. Und die Typen, die ihn bewerkstelligten, haben – ungeachtet ihres sportlichen Könnens – doch eher das Charisma von Bankangestellten, die es gewohnt sind, mit Zahlen zu jonglieren. Das dritte Mal war das erste Jahr ohne Boris Becker, der es vorzog, Leverkusen an die Bundesliga-Tabellenspitze klettern zu sehen. Es war das Jahr des Michael Stich, den die Dramaturgie dieses Finales (Goellner verlor sein Match) damit belohnte, wie seinerzeit sein Über-Ich Becker die Punkte quasi im Alleingang sammeln zu dürfen.

Die Presse feierte am Montag den Weltmeister in Elogen: „Michael Stich an der Spitze der Jubelpyramide“ (Süddeutsche Zeitung), „Michael Stich krönt sein Jahr der Triumphe im Davis Cup“ (FAZ). Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur, wie dereinst mit „Bobbele“, der auf dem Center Court leibte und litt, war's eben doch nicht. Trotz – oder wegen (?) – der beeindruckenden Stärke seines Nachfolgers, dem es spürbar gut tat, daß der Schatten Beckers kürzer geworden ist. „Vorteil Stich“ schreibt der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe und präsentiert eine Umfrage, derzufolge Stich seinen Antipoden Becker in der Popularitätskurve weit überflügelt hat: 55 Prozent würden, hätten sie die Wahl, eher ein Match Stichs als eines von Becker (28 Prozent) vor dem Fernseher verfolgen.

Beim dritten Mal war bereits die Konstellation eine andere. Die Rolle der Underdogs blieb den Australiern vorbehalten, denen es immerhin zu verdanken ist, daß die Luft nicht schon nach dem ersten Spieltag draußen war. Indes, Aussies kann man einfach nicht böse sein. So fehlte das Feindbild auf der anderen Seite des Netzes. Und damit – zum Glück – der kalte Krieg von den Rängen. Kein Filzball-Nationalismus wie 1985, als Becker & Co. im Hexenkessel von Hartford zum Spielball chauvinistischer Hysterie der US-Amerikaner wurden und sich der Leimener nach dem Halbfinalsieg fühlte, als ob er seinen Grundwehrdienst abgeleist habe, indem er den Bundesadler schwenkte. „Das Publikum war fair“, bilanzierte Richard Fromberg, obwohl er nicht nur von den Schlägen Michael Stichs, sondern auch von La Ola und stampfenden Füssen überrollt wurde. „Wir haben schon vor wesentlich feindlicherer Kulisse gespielt als hier“, meinte auch Todd Woodbridge.

Michael Stich wußte nicht so recht, ob er sich im Fußballstadion oder in der Tennishalle befand. Denn das Düsseldorfer Publikum feierte, ganz wie die Schwaben während der Leichtathletik-WM, auch ein Stück sich selbst. Besonders im fünften Match: Marc-Kevin Goellner gegen Jason Stoltenberg. Es ging um nichts mehr. Aber die Halle tobte. „Jetzt geht's los“, dröhnte es von den Rängen. Tröten quakten. Aus der deutschen Spielerloge schwappte die Welle und riß die Massen mit – bis zu fünf Mal kurvte La Ola im Kreis. Und Goellner machte den Star: Jubelposen, als ob er mit jedem As den Pott noch mal für sich alleine holen könnte. Eine Schaukampf und eine perfekte Show.

Einen Millimeter hinter dem Cup-Gewinn von 1988 rangiert für Niki Pilic der dritte Wiederholungsfall: „Weil niemand geglaubt hat, daß wir ohne Boris Becker gewinnen können.“ Quod erat demonstrandum. Aber aus Kalkül entsteht noch kein neuer Mythos.

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