: Rot + Grau = Voscherau
■ SPD und Statt Partei ein wenig zögerlich, aber fast am Bürgermeister-Ziel / Wegner auf Senatoren-Suche Von Sannah Koch und Uli Exner
So ganz hatten sie es bei Redaktionsschluß noch nicht geschafft, aber die Zeichen standen gestern abend deutlich auf Grün für Rotgrau: Die als „Protest-Wählervereinigung“ zu den Bürgerschaftswahlen angetretene Statt Partei will im künftigen Senat das Wirtschafts- und das Justizressort übernehmen.
Das rund dreißigseitige Vertragswerk, an dessen Feinheiten am Nachmittag Voscherau und Wegner unter vier Augen gefeilt hatten, dürfte nach Informationen der taz durchaus zum Wohlgefallen der SPD, insbesondere aber zur Freude des Bürgermeisters ausfallen.Seltene Ausnahme: Die künftigen Modalitäten der Benennung eines Bezirksamtsleiters. Hier retteten sich Voscherau und Wegner gestern zunächst in einen der von Voscherau so ungeliebten „Formelkompromisse“. Soll heißen: Eine Entscheidung über Ernennung der Bezirkschefs durch den Bürgermeister oder Wahl durch die Bezirksversammlungen dürfte erst im Sommer 1994 fallen, wenn die Verwaltungsreform auf den parlamentarischen Weg gebracht werden soll.
Und auch beim Thema Hafenstraße kamen Voscherau und Wegner gestern nachmittag noch nicht so recht weiter. Bei Redaktionsschluß stand zwar fest, daß es die von Voscherau schon gegenüber der GAL eingeräumte freie Abstimmung in der Bürgerschaft geben wird. Unklar blieb allerdings noch, ob sich Wegner mit seiner Forderung durchsetzen konnte, auf eine gewaltsame Räumung der Häuser unabhängig vom Ausgang der Abstimmung zu verzichten.
Ansonsten will die Statt Partei in den kommenden vier Jahren nahezu alle sogennannten Voscherau-Essentials mittragen, die der Bürgermeister schon vor dem Beginn der dann abgebrochenen Koalitionsverhandlungen mit den Grünen zu Papier gebracht hatte:
– „wirtschafts- und arbeitsplatzfreundliche Grundhaltung des Regierungsbündnisses samt den Großprojekten Altenwerder, vierte Elbtunnelröhre und Ausbau des Flughafens Fuhlsbüttel: abgehakt.
– Bauprogramm für 25.000 Wohnungen nach den bestehenden Bebauungsplänen: abgehakt.
– Müllverbrennung: abgehakt.
– Ausstieg aus der Atomkraft nur bei Erfüllung Voscherauscher Bedingungen, z.B. Bau von neuen Nicht-Atomkraftwerken und Finanzierbarkeit unter miserablen Einnahmebedingungen der Stadt: abgehakt. Undsoweiterundsoweiter.
Auch das erklärte primäre Verhandlungsziel der Statt Partei (“sparen, sparen, sparen“) konnte die Wegner-Truppe – vorerst? – nicht erreichen. Die Entscheidungen über die Finanzpolitik wurden vertagt. Eine Sparkommission soll im kommenden Jahr zunächst Vorschläge prüfen.
Der rotgraue Vertrag soll am kommenden Wochenende von einem SPD-Parteitag abgesegnet werden, die Statt Partei will ihre Mitglieder Sonntag „informieren“. Die Senatswahl in der Bürgerschaft ist für nächsten Mittwoch geplant.
Die Namen der „grauen“ Senatoren konnte Statt Parteichef Markus Wegner bisher noch nicht nennen. Sein Problem: Er will keine Parteimitglieder sondern „unabhängige Experten“ vorschlagen, und die haben mit der Statt Partei offenbar nicht allzuviel am Hut. Der für den Posten des Wirtschaftssenators hochgehandelte Ex-Unilever-Chef Jürgen Schrader gab Wegner bereits einen Korb, weil ihm „die politische Grundlage zu brüchig“ erschien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen