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Heftige Zärtlichkeiten

■ Premiere vom Tanz Theater Hamburg auf der Cap San Diego

Unten, auf dem Sand, liegen fünf Frauen in bunten Kleidern und erwachen zuckend. Oben, am Rand der Luke 5 des Museumsschiffes Cap San Diego, steht das Publikum und friert. Trommeln, Metallgeräusche, ethnische Musikfetzen steuern und begleiten die Tänzerinnen, die in immer neuen Konstellationen viele kleine Schauplätz bilden. Rituelle Tänze zu Ololo-Geheul, Kampfspiele und priesterliche Umzüge, jugendstilhaftes Hüpfen mit wehenden Röcken, heftige Zärtlichkeiten und kindische Umtriebe im Rokoko-Rosengarten: die Assoziationen zu der Choreografie der Leiterin des Tanz Theaters Hamburg Marion Buchmann fließen reichlich.

Nachdem Hamburgs ältestes Tanztheater mit dem letzten Stück einen eher mißglückten Ausflug der noch lebenden Frauenin die Branche Performance-Schauspiel unternommen hatte, besinnt sich Buchmann mit dieser Arbeit wieder auf ihre eigentlichen Qualitäten. Der spielerische Umgang mit einer widrigen Situation (der Laderaum als unentrinnbare Ödnis) und die oft gewalttätige Art der Personenführung, die umrahmt wird von bizarren Verhältnissen zwischen den Tänzerinnen, dies ist der eigentliche Aggregatzustand ihrer Choreografien.

Timeless Moments zu den aufwühlenden, vielfach rabiaten Kompositionen von John Zorn und Iannis Xenakis läßt sich als eine Collage von menschlichen Profilen und biografischen Situationen aus allen Altersstufen lesen. Die fünf Tänzerinnen (Ines Abarbanell, Barbara Bruhin, Maike Fischer, Monika Hörmann und Jennifer Newman-Preston) wandeln in einem unentwegten Spiel zwischen symbolischen und konkreten Gesten. Da wird beerdigt und gebalzt, die Verwandlung vom Kind zur Schlange, vom imbezilen zum glücklichen Grinsen, von der expressionistischen Stummfilmgeste zur elegischen Süßlichkeit gelingt in Sekunden und alles ist im Vokabular der unbedarften Weltergreifung gearbeitet.

Immer wieder öffnet sich der erstaunt-fröhliche Blick der Tänzerinnen in den Himmel aus Augen, bevor sie wieder ihr exzessives Spiel beginnen. Hätte man eine kleine Glühweinbar installiert, wäre am Ende nicht nur den Künstlern warm gewesen. So aber ist der beste Rat für alle Neugierigen: Warm anziehen! Till Briegleb

Cap San Diego, Überseebrücke/U-Bahn Baumwall, 19 Uhr, Vorbestellungen unter Tel: 251 23 16

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