: Wo, bitte, geht's hier zur PLO?
Warten auf den Frieden: Palästinenser und Israelis sind weit von euphorischer Stimmung entfernt / Doch die Umwertung aller Werte ist nicht mehr rückgängig zu machen ■ Aus Jerusalem und Jericho Klaus Hillenbrand
„Hier hat sich leider überhaupt noch nichts geändert“, beklagt sich Gamal Safi, „immer noch kontrolliert israelisches Militär die Gegend. Erst gestern haben sie einige von uns festgenommen. 300 Leute aus der Stadt sitzen immer noch in israelischen Gefängnissen.“
Ort der Handlung: Ein kleines, offenes Büro in der Kleinstadt Jericho im Jordantal, Palästina. Um die Ecke, nur ein paar Schritte entfernt, flattert die israelische Flagge über der Polizeistation am Marktplatz im Wind. Gegenüber das kleine Rathaus. In den Läden am Platz werden Obst und Gemüse feilgeboten. In einem Restaurant dreht der Ventilator über nur wenigen Gästen seine Runden: Ein schläfriger Mittag in der zukünftigen Hauptstadt des teilautonomen Palästina.
Nichts geändert? „Wo, bitte, geht's denn hier zur PLO?“, haben wir bei der Ankunft gefragt, und freundliche Menschen wiesen ohne Argwohn den Weg zu Gamal Safi. Vor drei Monaten völlig unmöglich. Safi, von Beruf Angestellter in einer Fabrik zur Herstellung von Hühnerfutter, ein freundlicher, leicht untersetzter junger Mann, arbeitet nebenbei für das örtliche Büro der PLO. Ganz offiziell. Vor drei Monaten absolut unvorstellbar.
Wir nehmen Platz auf einer Bank, hinter uns ein wandfüllendes Monumentalgemälde, auf dem die Gestik des Vorsitzenden der Palästinensischen Befreiungsorganisation, Yassir Arafat, entfernt an Jesus erinnert. Auch dieses Bild: noch vor drei Monaten außerhalb jeder Vorstellungskraft. Israelische Soldaten wären gekommen, hätten das Gemälde übertüncht, den Künstler festgenommen, das Büro geschlossen. Und jetzt?
Jetzt bleiben die israelischen Polizisten in aller Regel in ihrem Quartier am Marktplatz. „In unsere inneren Angelegenheiten mischen die sich nicht mehr ein“, berichtet Safi. Verdächtige Kriminelle werden, so erzählt er, schon mal bei der PLO abgegeben. Soll die sich darum kümmern. Die palästinensischen Nationalflaggen und die Arafat-Poster, die zu Hunderten in Jericho hängen und kleben – sie sind nicht länger verboten. Ein ganz neuer Alltag ist eingekehrt. Doch die EinwohnerInnen warten ungeduldig auf den nächsten, den entscheidenden Schritt.
Die örtliche PLO ist inzwischen zuständig für Alltagsprobleme aller Art. Nur hat sie bis jetzt weder Personal noch Geld noch Autorität. „Ja, die palästinensische Polizei wird derzeit in Jordanien ausgebildet“, berichtet Safi. Nein, eine einheitliche Uniform wird es nicht geben. Alle wollen Polizisten werden. 28.000 Anträge wurden in Westbank und Gaza- Streifen abgegeben; aber nur 7.000 – davon allein 5.000 aus den Reihen der Exil-PLO – werden gebraucht. Ihren Dienst antreten können die Polizisten aber erst dann, wenn auch das autonome Palästina sich zur Existenz anmeldet – nächstes Jahr wird das sein, wenn alles gut geht. Die zehn „PLO-Vertreter“ in Jericho arbeiten noch ohne Bezahlung für die Organisation. Entscheidungen fallen weit weg, in Tunis. Safi: „Es gibt noch kein konkretes Datum für Arafats Ankunft. Es ist ein gewisses Durcheinander.“
Jericho befindet sich derzeit in Transitonien. Die alte Macht Israel ist noch da, aber doch nicht mehr ganz. Die neue, die PLO, hat sich bereits angemeldet, ihre Fahnen wehen, doch ihre Uniformen sind noch verboten. Kein Wunder, daß manche Leute da ungeduldig werden.
Ungeduldig sind auch die Händler und Restaurantbesitzer in der Altstadt von Jerusalem. Zwar wurde der Status der Stadt im Washingtoner Abkommen ausgespart, doch hofft man auch hier auf schnelle Veränderungen. Bisher, so die einhellige Meinung, habe sich das Friedensabkommen erst ungenügend auf ihr Handelsvolumen niedergeschlagen. „Natürlich ist jetzt alles entspannter hier“, meint ein Kaffeehausbesitzer in der Nähe des historischen Damaskus-Tores. Der Intifada-Streik, der die Händler jeden Nachmittag um ihre Umsätze brachte, ist längst beendet. „Aber das Geschäft könnte besser gehen.“
Ein kleines Mädchen läuft vor seinem Laden hin und her, die palästinensische Flagge in der geballten Faust. Eine israelische Militärstreife, die Waffen geschultert, läuft vorbei. Die Soldaten nehmen keine Notiz.
Auch über dem Orient-Haus, einem großbürgerlichen Gebäude mit parkähnlicher Auffahrt in der Neustadt von Ost-Jerusalem, weht die palästinensische Fahne, und längst findet das kein Mensch mehr sonderlich aufregend. „Das ist hier so eine Art Regierungsgebäude“, meint Presseprecher Fahim Kilani lakonisch. Ausländische Fernsehteams und Reporter gehen ein und aus, Wirtschaftsberater kommen, lokale Vertreter aus der Westbank gehen. Der Reporter, der zuletzt vor einem Jahr hier war, kratzt sich hinterm Ohr und wundert sich. Wiedervereinigung Deutschlands? Warum nicht. Auseinanderbrechen der Sowjetunion. Meinetwegen. Aber das hier? Unglaublich! [schwafelschwafel, d. s-in]
„Unumkehrbar“ sei der Friedensprozeß inzwischen, meint Yossi Gal, Direktor im israelischen Außenministerium. „Unumkehrbar“ echot Samir Huleileh, Direktor der Wirtschaftsentwicklungsgruppe auf palästinensischer Seite. Natürlich, so Gal, würden bei den Verhandlungen noch Probleme auftauchen. Schließlich sei der Washingtoner Vertrag vom 13. September nur ein Rahmenabkommen, daß erst noch mit Inhalt erfüllt werden muß. Der Abzug der israelischen Armee, die Größe des autonomen Gebiets um Jericho, seine Sicherung – nur drei von vielen offenen Fragen, die noch auf eine Lösung warten. Euphorie sei völlig fehl am Platze, meint Gal. Doch er bleibt optimistisch.
Optimistisch ist auch Huleileh. Aber er sagt auch: „Wir haben jetzt ein Abkommen mit Israel. Aber deswegen sind sie noch nicht unsere Freunde.“ Huleileh sieht die größte Gefahr in den gewalttätigen Protesten der jüdische Siedler in Westbank und Gaza-Streifen. „Täglich werden Menschen getötet. Israel muß das stoppen. Die Siedler helfen nur unseren Extremisten von der Hamas.“
Attentatsmeldungen finden sich täglich in der englischsprachigen Jerusalem Post, und sie strafen das Bild vom friedlichen Nebeneinander zwischen Palästinensern und Israelis am Beginn eines Friedensprozesses als ein romantisches Lügengebäude. Siedler sperren Straßen, bombardieren von Arabern gesteuerte Autos mit Steinen. Araber stechen auf Siedler ein. Siedler erschießen Araber. Hamas bekennt sich zum Attentat in Gaza auf ein israelisches Auto (bei dem ein Beduine stirbt), Militärs erschießen steinewerfenden Araber. Araber sticht Soldat in der Jerusalemer Altstadt Messer in den Rücken. Schießen. Stechen. Steine werfen. Töten. Jerusalem bleibt geteilt wie eh und je. Kaum ein jüdischer Israeli wagt sich angesichts der Schreckensmeldungen in den arabischen Basar.
Sonntag abend auf der King- George-Straße im jüdischen West- Jerusalem: Berittene Polizisten und eine Polizeikette haben die Straße vor der Großen Synagoge abgesperrt. Einige hundert Siedler, junge Leute zumeist, versuchen, die Kette zu durchbrechen, um in Richtung des Amtssitzes von Ministerpräsident Rabin vorzudringen. Sie demonstrieren ganz manierlich, mit Sprechchören machen sie ihrer Wut Luft.
Am selben Tag ist einer der ihren gestorben: Bei einem Anschlag der islamisch-fudamentalistischen Hamas auf das Auto des radikalen Siedler-Führers Chaim Druckmann bei Hebron wurde dessen Fahrer erschossen; Druckmann selbst entkam leicht verletzt. „Rabin weg!“, rufen die Demonstranten, und ohne größere Gewaltanwendung schlüpfen sie durch die Kette. Die Polizei setzt auf Deeskalation. Die Helme bleiben um die Hüften geschnallt. Fast drei Stunden dauert das Katz-und- Maus-Spiel. Einige Demonstranten werden leicht verletzt.
Die Siedlerorganisationen fordern die sofortige Beendigung der Verhandlungen mit der PLO. Über ihr Gewicht in der Politik gibt es höchst unterschiedliche Auffassungen. Yossi Gal, der Direktor des Außenministeriums, nimmt ihre Proteste sehr ernst. In der Friedensbewegung hält man sie dagegen für relativ ungefährlich. „Die Siedler sind nicht in der Lage, über ihre eigene Gefolgschaft hinaus Menschen zu mobiliseren“, meint Rahel Freudental. Die Jerusalemerin sieht deshalb keinen Grund, gegen sie mobil zu machen. Trotzdem beklagt sie, daß die Friedensbewegung inzwischen sanft entschlafen sei. „Es gibt keine Opposition von links. Allgemein glaubt man, die Regierung mache jetzt unsere Arbeit.“ Ein paar Tage zuvor hatte es eine von Palästinensern und Israelis gemeinsam organisierte Demonstration gegen die Pläne zum Bau eines neuen jüdischen Stadtteils im arabischen Ost-Jerusalem gegeben. Nur 300 Menschen kamen.
Im Januar soll Yassir Arafat nach Jericho kommen. Unter seinem Gemälde im örtlichen PLO- Büro wird schon über die Zeremonie nachgedacht. „Vielleicht kommt es auch ganz anders“, meint Gamal Safi. „Arafat mag die Leute überraschen.“ Euphorie sei völlig fehl am Platz, hatte Yossi Gal vom israelischen Außenministerium gesagt. Es herrscht keine Euphorie, weder hier in Jericho noch in Ost-Jerusalem und schon gar nicht in Israel. Eher gespanntes Warten, Hoffen und – unter den Palästinensern – immer wieder Drängen auf eine noch schnellere Entwicklung.
Das einzige Hotel am Platze, „Hisham Palace“, ein heruntergekommener Bau mit zerschlagenen Fensterscheiben und verwildertem Hinterhof, in dem die Hühner picken, hat bald seine letzten Tage als Hotel hinter sich. Hier soll Arafat und die neue Regierung residieren. Die Umbaupläne sind fertig, die Aschenbecher als Souvenirs sehr gefragt. Hotelmanager Rajai Abdo ist stolz, daß Yassir Arafat sein Haus ausgesucht hat. Auch der tief religiöse Abdo ist nicht euphorisch, aber hoffnungsvoll: „Ich habe keinen Zweifel, daß der Frieden kommen wird, aber der Kampf für den Frieden wird noch schwerer werden als der Kampf im Krieg.“
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