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Notwendigkeit des Kennenlernens

■ Ingrid Warburg-Spinelli am Sonntag in den Kammerspielen

Die Gesprächslust der 83-jährigen Dame ist ungebrochen: Ingrid Warburg-Spinelli, Großbürgertochter aus dem Hause der Hamburger Bankiers und aktive Antifaschistin, hat an der Rettung von hunderten von Personen aus Nazideutschland und dem besetzten Frankreich mitgewirkt. Sie weiß ihre Biographie so bemerkenswert zu vermitteln, daß der Autor Florian Felix Weyh den „Glücksfall, gerade für die Generation der Enkel, mit dieser Frau reden zu können“ gerne mit anderen in der Reihe Brückenschlag der Kammerspiele teilen möchte. Die Erfahrungen eines so exemplarischen Lebenslaufs gewaltsam gebrochener hamburgisch-jüdischer Identität sind ein kleines Mittel gegen das Vergessen und schreckliche Wiederholung.

Auf die Jugend in der Villa auf dem Kösterberg, heute auf Wunsch ihrer Eltern das „Elsa Brandström-Haus“ des DRK, folgte eine Schulzeit im elitären Internat Salem, Studien in Heidelberg und Oxford. 1935 promoviert sie in Hamburg. Sie engagiert sich in der jüdischen Bewegung, bis sie 1936 die Auswanderung als einzige Möglichkeit akzeptieren muß. In den USA arbeitet sie in jüdischen Hilfsorganisationen und wird Vizepräsidentin des „International Rescue Committee“. Mit ihrem Mann Veniero Spinelli geht sie 1946 nach Rom, wo sie auch heute noch lebt. Der Kampf ist nicht zuende, sind doch die tiefen Überzeugungen, für die sie ein Leben lang einstand, noch immer bedroht: Bestand doch erst letzten Sonntag die reale Chance, daß bei den Kommunalwahlen in Rom die Neofaschistische MSI gewinnen könnte. Nach der Situation in Deutschland befragt, sagt sie: „Ich hoffe, daß es zu einer neuen Demokratie kommt, in der Sicherheit für die Minoritäten besteht und das Recht für den Einzelnen, seine Meinung zu ändern“. Doch auch sie sieht den erschreckenden Verlust an Visionen und Utopien. Aus ökonomischer Hoffnungslosigkeit, der verbreiteten Korruption und einer übermächtigen Angst sieht sie ähnlich wie in Italien auch hier die Kräfte der neuen Rechten wachsen. Dazu erscheinen ihr die Linke mit allen Ansprüchen auf ein Luxusleben beschäftigt und die Gewerkschaften ohne Kontakt zu den Arbeitern. Als Gegenmittel verweist sie auf die Notwendigkeit zum Kennenlernen, am besten europaweit oder gar im Rahmen einer Weltföderation. „Zwischen Jerusalem und Tel Aviv gibt es ,Newe Shalom'“, einen Ort mit Schule und Kindergarten, in dem Juden, Israelis und Palästinenser gemeinsam in Hebräisch und Arabisch unterrichtet werden, die eigene und die Identität des anderen verstehen und so zusammenleben lernen. Das ist ein Anfang von Brückenschlägen, die überall nötig sind“. Ingrid Warburg-Spinelli studierte in Hamburg bei Ernst Cassirer und Erwin Panofsky Kunstgeschichte, verfolgte den Bereich aber nicht weiter. Ihr Sohn Italo Spinelli knüpft an die Warburgsche Tradition der Kulturforschung an: Er arbeitet an des Großonkels Bildatlas zum Thema „Die gefrorenen Gesten und die Frühgeschichte des Films bei Aby Warburg.“ Hajo Schiff

Sonntag 11 Uhr, Kammerspiele; Biographie: „Die Dringlichkeit des Mitleids und die Einsamkeit, nein zu sagen“, Sammlung Luchterhand SL 1013, 24, 80 Mark)

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