: Im Theater wie im Leben: ein böses Ende
■ Immer mehr jugendlichen Flüchtlingen in Hamburg droht die Abschiebung
Das für gestern abend in der Werkstatt 3 geplante „Internationale Jugendfest“ wurde abgesagt. Grund: Vier der fünf Akteure, allesamt jugendliche Flüchtlinge, hatten Post von der Ausländerbehörde bekommen. Sie mögen das Land binnen einer Woche verlassen.
„Das Zynische ist, das endet genau wie das Theaterstück, das wir aufführen wollten“, berichtet Phillip, der als Honorarkraft den Kulturabend mit den Jugendlichen aus einer Eimsbüttler Containerunterkunft vorbereitet hatte. Im Stück erzählt der 15jährige aus der Elfenbeinküste seine Geschichte. Weil die Eltern bei einer Demonstration gegen die Regierung ums Leben kamen, flüchtete er versteckt im Rumpf eines Schiffs nach Europa. Nach einer langen Odyssee gelingt es ihm mit der Hilfe eines Landsmanns, in Deutschland Asyl zu beantragen. Am Ende bekommt der Junge einen Brief von der Ausländerbehörde. Er sieht überall Feuer, weil er nicht mehr weiter weiß.
Minderjährige Flüchtlinge werden von der Ausländerbehörde Erwachsenen gleichgestellt, was bedeutet, daß sie kaum eine Chance haben, hier zu bleiben. In letzter Zeit, sei ein „qualitative Veränderung“ zu bemerken, berichtet die Sozialarbeiterin Sabine Kohlhof von „Jugendhilfe e.V.“. Immer häufiger würden Jugendliche direkt in der Ausländerbehörde in Handschellen abgeführt. So am 11. November der 15jährige Kurde Filit, und erst an diesem Mittwoch ein 15Jähriger aus Rumänien.
„Unser Eindruck ist, daß die sich jetzt an die Kinder rantrauen“, sagt Kohlhof. Filit, der auf Intervention seiner Betreuer aus der Abschiebehaft entlassen wurde, habe berichtet, daß in seiner Zelle viele andere in seinem Alter gewesen seien.
Wieviele minderjährige Flüchtlinge abgeschoben wurden, kann die Ausländerbehörde nicht sagen. Die über 16Jährigen würden bei den Erwachsenen mitgezählt, erläutert Behördenreferent Norbert Smekal. Das waren im August 197, im September 287 und im Oktober 238 Menschen. Die unter 16Jährigen würden selten abgeschoben, weil für sie erst in einem langwierigen Verfahren ein Vormund bestimmt werden muß. „Das ist im Monat aber nicht mehr als einer“, beteuert Smekal.
Die Frage, ob minderjährige Flüchtlinge abgeschoben werden dürfen, ist umstritten. Nach Meinung des Kinderschutzbundes müßten das „Haagener Übereinkommen zum Schutz von Minderjährigen“ und die Kinder-Konvention der UNO Anwendung finden. Das Asylrecht sei für diese Gruppe denkbar ungeeignet, weil Kinder selten direkt Opfer politischer Verfolgung seinen, dafür aber um so häufiger Opfer von Bürgerkrieg und Hunger. Aus diesem Grund forderte auch jüngst auf einer Fachtagung Schulsenatorin Raab ein Gesetz, das „weitere Motive für das Verlassen der Heimat anerkennt“.
„Es gibt einzelne Fälle, wo wir uns vehement gegen Abschiebung einsetzen“, so Wolfgang Lerche vom Amt für Jugend. Aber die Duldung aller minderjährigen Flüchtlinge sei für Hamburg nur dann realistisch zu bewältigen, wenn sie auf andere Länder umverteilt würden. Zur Zeit leben hier 60 Prozent aller unter 16jährigen Flüchtlinge.
Das Amt für Jugend sieht sich daher in einer Zwickmühle. Würden alle minderjährigen Flüchtlinge betreut, so Lerche, würde das Jugendhilfesystem unter der Last zusammenbrechen. Würden sie nicht betreut, drohe ihnen das Abdriften in die Illegalität. Ein Problem, das dem Abschiebeapparat der Ausländerbehörde nicht überlassen werden kann. kaj
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