: Stadtwerkeverkauf - ein Weg in die Sackgasse
■ Offener Brief des Arbeitskreises Energie (AKE) an die Bremer SPD (und sinngemäß an die Grünen) zu den Möglichkeiten, die Klöckner-Interessentenlösung zu finanzieren ohne die Energiepolitik aufs Spiel zu setzen
1. Angesichts der Bedrohungen durch Atomkraftwerke und Klimakatastrophe ist die Bremer SPD angetreten, eine Energiewende herbeizuführen. In ihren Wahlprogrammen ist das politische Ziel der Energiewende mit hoher Priorität ausgewiesen. Auch im Koalitionsvertrag der durch Sozialdemokraten geführten Bremer Ampelregierung wurden wichtige Ansätze hin zu einer Energiewende verankert und stehen zur Umsetzung an.
Starke, eigenständige und innovative kommunale Energiedienstleistungsunternehmen sind die unverzichtbare Basis, um eine atomstromfreie und ökologieverträgliche Energieversorgung durchsetzen zu können. In einer Reihe von Kommunen werden daher große Anstrengungen unternommen, um Kraftwerke und Netze von den überregionalen Strommultis zurückzukaufen und eine wirtschaftlich vorteilhafte kommunale Energieversorgung betreiben zu können. Die ostdeutschen Kommunen haben sogar vor höchsten Gerichten erfolgreich geklagt, um eigenständige Stadtwerke aufbauen zu können.
2. Die „Interessentenlösung“ zur Übernahme des Klöckner-Stahlwerks erfordert vom Land Bremen einen Kapitaleinsatz von insgesamt etwa 220 Mio DM. Vor der Entscheidung, zu diesem Zweck Anteile der Stadtwerke Bremen AG zu verkaufen und damit energie- und wirtschaftspolitische Handlungsmöglichkeiten aufzugeben, sollte vorrangig und mit aller Sorgfalt geprüft werden, ob dieser Betrag nicht auf politisch unschädlichere Weise aufgebracht werden kann; z.B. durch Beleihung oder Veräußerung anderer Beteiligungen von Kommune oder Land.
3. Falls dieser Weg nicht begehbar sein sollte und daher das in der Stadtwerke Bremen AG vorhandene kommunale Vermögen zur Klöckner-Rettung aktiviert werden soll, ist eine Finanzierungsweg zu wählen, die die energie- und wirtschaftspolitische Selbständigkeit Bremens wahrt.
Statt eines Verkaufs an einen Energiekonzern bieten sich dafür eine Reihe alternativer Finanzierungsmöglichkeiten an:
Erweiterung und Verlängerung von Wertpapierpensionsgeschäften;
Emission spezieller Aktien der Stadtwerke Bremen oder anderer öffentlicher Gesellschaften, ggfs auch mit Beschränkung des Stimmrechts (Vorzugsaktien);
Gewinnabtretung („Factoring“);
begrenzter Übergang zu linearer Abschreibung;
Gründung einer Beteiligungsgesellschaft (insbesondere Streubesitz für bremische InteressentInnen);
„Sale and Lease-Back“ einzelner Kraftwerke oder Netzteile durch eine Kommunalbeteiligungsgesellschaft ohne Einflußnahme auf das operative Geschäft des Energiedienstleistungsunternehmens Stadtwerke Bremen AG (entsprechende Angebote liegen bereits vor).
Diese Finanzierungswege haben den Vorteil, daß sie das geforderte Kapital aufbringen, ohne die energie- und regionalwirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten Bremens einzuschränken. Erläuterungen zu diesen Finanzierungswegen finden sich in der Anlage zu diesem Schreiben.
Wenn eine einzelne dieser Möglichkeiten nicht ausreicht, die für die „Interessentenlösung Klöckner“ geforderte Summe zu mobilisieren, kann auch eine Kombination dieser Finanzierungs-wege gewählt werden.
4. Erst wenn wider alle Erwartungen keiner der unter 2. und 3. genannten alternativen Finanzierungswege realisierbar sein sollte, wäre auf Verkäufe von Anteilen der Stadtwerke Bremen AG zurückzugreifen. Denn jeder Verkauf eröffnet geschäftspolitischen Einfluß für fremde Aktionäre und birgt erhebliche Gefahren für bremische Energie-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.
Auch ist der erforderliche Umfang eines Verkaufs zu bedenken, da davon der Umfang fremder Einflußmöglichkeiten abhängt. Für das „Interessentmodell Klöckner-Hütte“ sind rund 220 Mio DM erforderlich. Dieser Betrag wäre mit einer Veräußerung von deutlich weniger als 24,9 v.H. der Stadtwerke- Aktien aufzubringen.
Vorsicht: Gelegentlich wird kolportiert, es seien gegenwärtig bereits 20 v.H. der Aktien an Banken verkauft. Richtig ist, daß 20 v.H. im Rahmen eines Wertpapierpensionsgeschäftes bei Banken „geparkt“ sind. Dieses Geschäft läuft zunächst bis 1995 und kann dann bei Bedarf beliebig und zu einem günstigen Zinssatz verlängert werden. Hier besteht also kein aktueller Handlungsbedarf.
Während bei einem Verkauf an einen Energiekonzern auch energiepolitische Handlungschancen aufgegeben werden, ist das „Parken“ von Aktien politisch vergleichsweise unschädlich, da an die Banken zwar eine aus den Gewinnen zu zahlende Zinsgarantie, jedoch kein energiepolitischer Einfluß abgetreten werden muß.
Die geparkten 20 v.H. müssen und dürfen daher keinesfalls zusätzlich verkauft werden.
Wenn mehr als 24,9 v.H. der Aktien verkauft würden, erhielte ein entsprechender Käufer maßgeblichen Einfluß auf das Unternehmen und damit die bremische Energie- und Wirtschaftspolitik.
Die Stadtwerke könnten dann von außen gesteuert oder blockiert werden. Ohne Zustimmung fremder Großaktionäre könnte dann keine Vorstandsposition besetzt, kein Investitionsplan beschlossen, kein Fernwärmerohr gelegt, kein Kraftwerk gebaut, keine Tarifänderung beantragt und kein Energiesparprogramm angeboten werden. Bei entsprechender Interessenlage der Käufer ist mittel- und langfristig der Erhalt der hohen Eigenerzeugungskapazität, der hieran gebundenen bremischen Wertschöpfung und der entsprechenden Arbeitsplätze bei den Stadtwerken und den Zulieferern nicht sicherzustellen. Ein Verkauf von mehr als 24,9 v.H. ist aus bremischer Sicht daher prinzipiell abzulehnen. Diese Höchst- Begrenzung entspricht auch dem Parteitagsbeschluß der SPD vom 18.09.93. An diesem Beschluß ist unbedingt festzuhalten!
5. Als potentielle Kooperanten/ Käufer haben sich bereits eine Reihe in- und ausländischer Unternehmen angeboten. Ein Verkauf an den Vorlieferanten und Atommulti VEBA-Konzern bzw. sein Tochterunternehmen PREAG wäre nicht einfach eine beliebige „Privatisierung“, sondern nichts anderes als eine Monopolisierung des Energiemarktes und der Kraftwerke. Eine langfristige Beschäftigungssicherung für Bremen oder gar innovative Impulse für die im Koalitionsvertrag festgelegte Weiterentwicklung der Stadtwerke zu einem modernen Energiedienstleistungs-unternehmen sind sicher nicht vom Vorlieferanten und Atommulti PREAG/VEBA zu erwarten.
Die Geschäftsstrategie des VEBA-Konzerns basiert nämlich letztlich auf zentralen Stromerzeu- gungsanlagen. Mehr als 70 v.H. seiner Stromproduktion kommt aus Atomkraftwerken !!!
Statt aus der Atomkraftnutzung auszusteigen, würde Bremen sich vom größten deutschen Atommulti allmählich aufsaugen lassen.
PREAG/VEBA verfügt über hohe Überkapazitäten in der Stromerzeugung. PREAG/VEBA und ihre regionalen Tochterunternehmen setzen daher strategisch seit Jahren ihre finanziellen, propagandistischen und politischen Machtmittel ein, um den Ausbau dezentraler, umweltfreund-licher Nah-/Fernwärmesysteme durch kommunale Stadtwerke zu blockieren. Der im Koalitionsvertrag vereinbarte Ausbau ökologisch und ökonomisch sinnvoller Nah-/ Fernwärmenetze in Bremen würde durch eine Beteiligung von PREAG/VEBA nicht forciert, sondern entscheidend blockiert.
Zur Erinnerung: Wenn PREAG 1986 an den Stadtwerken Bremen bereits beteiligt gewesen wäre, hätte das umweltfreundliche und mittlerweile höchst profitable Kraftwerk Hastedt Block 15 nicht gebaut werden können.
Deshalb hatte zuvor auch der Betriebsrat der Stadtwerke in einer Anzeige im Weserkurier vom 5.12.85 gefordert: „Kein Atomstrom von der PREAG/NWK! Wir fordern die Verantwortlichen im Senat auf, entscheidet Euch: Für eine saubere Umwelt! Für preiswerte Energie in Bremen! Für den Ausbau der Fern-wärmeversorgung in Bremen! Für den Erhalt der Arbeitsplätze der Stadtwerke Bremen AG und den Zulieferern!“
Auch die ÖTV lehnt aus diesen Gründen einen Verkauf von Stadtwerke-Anteilen ab /vgl. z.B. das Flugblatt „ÖTV lehnt Verkauf von Stadtwerke-Aktienanteilen ab“ vom 10. August 93/.
Wenn der PREAG/VEBA-Konzern weiteren Einfluß auf die Stadtwerke und die bremische Energiepolitik erhält, ist es zwangsläufig und absehbar, daß – nach einer gewissen Schamfrist – Erzeugungskapazitäten und Arbeitsplätze in Bremen schrittweise abgebaut würden.
Niemand kann darauf bauen, daß im Kaufvertrag energie- oder beschäftigungspolitische Festlegungen langfristig verbindlich zu treffen wären. Von wenigen, kurzfristigen Ausnahmen abgesehen, stünden derartige Vereinbarungen unter den Vorbehalt ihrer „Wirtschaftlichkeit“. Da „Wirtschaftlichkeitsberechnungen“ aber stets an geschäftspolitischen Zielen ausgerichtet und entsprechend trickreich gestaltet werden können, haben derartige Nebenabsprachen mittel- und langfristig nur wenig praktischen Wert.
Fazit: Ein Anteilsverkauf an PREAG/VEBA verstieße gegen wesentliche energie- und arbeitsmarktpolitische Wahlversprechen der SPD und den Koalitionsvertrag der Ampelregierung.
Es ist daher nur konsequent, daß die SPD am 18. September 1993 Aktienverkäufe an PREAG prinzipiell ausgeschlossen hat. Daran ist festzuhalten.
6. Ungeachtet aller politischen Argumente und Beschlüsse scheinen Finanzsenators und eine Fraktion in den Stadtwerken gegenwärtig einen Verkauf an PREAG mit allen Mitteln durchsetzen zu wollen.
Presseberichten zufolge sind Vertreter des Vorlieferanten und Atommulti PREAG gar schon bei der Erstellung des Wertgutachtens für die Stadtwerke beteiligt worden und haben dadurch Insider-Status erlangt. Auch für PREAG/VEBA müssen börsenübliche Insider-Regeln gelten. Als Käufer von Stadtwerke-Aktien müssen sie ausgeschlossen werden.
Es bestehen jedoch Zweifel, ob solche Grundregeln professioneller Verhandlungsführung im Haus des Finanzsenators gebührend beachtet werden, denn der Finanzsenator scheint weiterhin Vorverhandlungen mit PREAG/VEBA zu führen.
Damit stellt sich der Finanzsenators auch in völligen Gegensatz zu Beschlüssen der beiden Koalitionspartner, SPD und Grüne. Beide Koalitionspartner schließen aus prinzipiellen Gründen einen Verkauf an PREAG definitiv aus.
Vorsicht: Von einzelnen PolitikerInnen wird ein Verkauf an PREAG, nicht jedoch ein Verkauf an VEBA ausgeschlossen. Eine Unterscheidung zwischen PREAG (Tochter) und VEBA (Mutter) ist spitzfindig und ohne praktischen Wert. Im Rahmen des VEBA-Konzerns werden die Aktivitäten der Tochterunternehmen zentral gesteuert. VEBA ist Deutschlands größter Atomstromproduzent. Es wäre illusionär zu glauben, daß im VEBA-Konzern in Zukunft eine Politik betrieben werden könnte, die sich über die strategischen Interessen der eigenen Tochter PREAG hinwegsetzt.
Wir fordern Senat und Koalitionsausschuß daher dringend auf, keine Verkaufsverhandlungen mit VEBA/PREAG führen zu lassen.
Es ist auch völlig inakzeptabel, wenn vom Haus des Finanzsenators offenbar sogar ein Verhandlungsmonopol angestrebt wird, um – im deutlichen Widerspruch zu dem entsprechenden Senatsbeschluß – Senatskanzlei und Umweltressort aus den direkten Verkaufsverhandlungen herauszuhalten. Im Interesse einer ausgewogenen und politisch tragfähigen Gesamtlösung ist klarzustellen, daß Verkaufsgespräche ohne sachkompetente Vertretung des Energiesenators und Koalitionspartners in Sackgassen enden müssen.
7. Ein eventueller Verkauf von Stadtwerke-Anteilen ist mit einer aktuellen Notsituation der Arbeitsplätze bei Klöckner begründet worden. Es ist (auch unter Berücksichtigung energiepolitischer Entwicklungen in den neuen Bundesländern) gut vorstellbar, daß mittel- oder langfristig eine Situation eintritt, in der Bremen die in der Not veräußerten Anteile wieder zurückkaufen will. Die Möglichkeiten hierzu müssen vertraglich festgelegt werden.
Andererseits ist vertraglich auszuschließen, daß bei einer Weiterveräußerung durch die jetzigen Käufer ohne Zustimmung durch die Stadt Bremen keine Aktien der Stadtwerke Bremen an PREAG/ VEBA gelangen können.
Senat, Fraktionen und Koalitionsausschuß werden daher aufgefordert, auf eine Rückholklausel bzw. ein Vorkaufsrecht im Vertrag zu bestehen.
8. Manche PolitikerInnen sind derzeit aus verschiedenen Gründen nicht gut auf „die“ Stadtwerke zu sprechen. Deswegen darf aber ein ökonomisch-ökologisches Schlüsselunternehmen nicht abgestoßen werden !
Die ökonomisch-ökologische Erneuerung Bremens braucht innovatorische Stadtwerke. Deutsche und internationale Beispiele zeigen, daß bei einer klugen Besetzung ihres Vorstandes Stadtwerke in kurzer Zeit zu wichtigen innovatorischen Schlüsselunternehmen aufblühen und erhebliche postive Effekte in ihren Regionen bewirken können. Diese große historische Chance ist gegenwärtig auch in Bremen gegeben und darf durch einen übereilten Not-Verkauf nicht vertan werden.
Der Senat sollte sich aus der zu engen Schlinge kammeralistischer Finanzbetrachtung befreien und den Mut haben, die Stadtwerke Bremen zu einem ökologisch und ökonomischen Aktivposten bremischer Politik zu machen: Der Bremer Energiebeirat hat gezeigt, wie mit einer ökologisch und ökonomisch optimierten bremischen Energiepolitik rund 1800 Arbeitsplätze in Bremen geschaffen werden könnten.
Kann sich Bremen leisten, diese Chance auszulassen ?
Wir bitten die SPD (Landesvorstand, Fraktion und Mitglieder des Koalitionsausschusses) am Beschluß des Landesparteitages vom 18. September 1993 und den folgenden Grundsätzen festzuhalten.
Da es sich zweifellos um eine Angelegenheit von besonderer Bedeutung handelt, sind diese notfalls auch mit einem Veto in Koalitionsausschuß und Senat durchzusetzen: 1. Die unter 2. und 3. genannten Finanzierungsalternativen sind sorgfältig zu prüfen und in Parteien und Bürgerschaft öffentlich zu diskutieren. 2. Nur wenn wider Erwarten keiner dieser Wege gangbar sein sollte, ist ein Teilverkauf von Stadtwerke-Anteilen in Erwägung zu ziehen. Dieser wäre definitiv auf das zur Klöcknerübernahme notwendige Kapital von rund 220 Mio DM, höchstens aber auf 24,9 v.H. der Stadtwerke-Aktien zu begrenzen. Senatskanzlei und Umweltsenator sind an allen Verhandlungen und Verkaufsgesprächen unmittelbar zu beteiligen. Ein Rück- bzw. Vorkaufrecht ist vertraglich zu sichern 3. Kein Verkauf an Atomkonzerne, insbesondere nicht an PREAG/ VEBA.
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