: Auferstanden aus Ruinen
Im Verlag Neues Leben wurde eine antisemitische Schmonzette von Adolf Sommerfeld wieder aufgelegt ■ Von Eike Geisel
In einem Berliner Verlag, der den bezeichnenden Namen „Neues Leben“ trägt, kam es jüngst zu einer unerfreulichen Auferstehung. Eine Buchreihe, die sich „Edition Scheunenviertel“ nennt, läßt man mit dem Reprint einer antisemitischen Schmonzette aus den zwanziger Jahren beginnen. Der Titel dieser verlegerischen Wiederbelebung der Vergangenheit lautet „Das Ghetto von Berlin. Ein Kriminalroman aus dem Scheunenviertel.“
Vom Ende der siebziger Jahre datiert die Verwandlung von Geschichte in Heimatkunde. Im Verlauf dieser neuen Aneignung der Vergangenheit wurden auch die ostjüdischen Einwanderer Berlins wiederentdeckt, die sich in den Straßen hinter dem Alexanderplatz niedergelassen hatten. Sie fungierten fortan als folkloristisches Gegenbild des deutschen Blicks auf die Juden. Genug Nobelpreisträger, genug Bankiers, genug Philantropen, man wollte Tewje, den Milchmann aus dem Scheunenviertel. Jetzt war auch hier Geschichte von unten angesagt. Kaum war die Mauer gefallen, da war eine Häuserwand des Viertels mit Großfotos ostjüdischer Einwanderer aus den zwanziger Jahren tapeziert. Touristengruppen pilgern durch die Gegend. Sie wollen ihr Bedürfnis, andere als buntes Völkchen, als Stamm oder als Rasse wahrzunehmen, an den spärlichen Zeugnissen ostjüdischer Vergangenheit befriedigen. Und ihr Brevier kommt aus dem Verlag „Neues Leben“.
Ein Autor der taz lobte vor Jahresfrist diesen Dreck: „Verdienst des Romans ist es, die Normalität jüdischen Lebens zu beschreiben“, las man im Dezember 1992. Auch die Namen der Protagonisten des Romans hatten es dem Rezensenten angetan: „Schön sind die Namen der Akteure“, hieß es über die Resultate der Germanisierungslaunen von deutschen Beamten. Diese hatten Juden einst Namen wie Butterfaß oder Feigenbaum verpaßt; Namen, die schon damals zu Zielscheiben geworden waren.
Zur behaupteten Normalität, von welcher der Roman berichtet, gehört alles, was das radau-antisemitische Herz begehrt: anständige Deutsche als Opfer, hinterhältige Juden als Täter; schmierige jüdische Devisenschieber, gerissene Betrüger, Mädchenhändler und Frauenschänder, meist krummnasig, mit Triefaugen und wulstigen Lippen. Es wird gejüdelt, daß sogar die auf jeder Fete unvermeidlichen Nachäffer jüdischer Witze noch dazulernen können. Es wird geschachert, es gibt mühelose Einkommen und polnische Schlamperei, kurz: was man schon immer über Juden wußte, aber sich nicht mehr zu sagen getraute.
Es dauerte fast ein Jahr, aber dann beschwerte sich dieser Tage jemand beim Verlag „Neues Leben“. Das läßt hoffen. Es hatte ja sonst in der Regel zwölf Jahre gedauert, bis jemand dagegen gewesen war. Eine Frau aus Berlin wollte vom Verleger wissen: „Aus welchem Grund haben sie dieses denunziatorische Machwerk veröffentlicht ... Was beabsichtigten Sie damit, als Sie den Prototyp des Goebbelsschen Mädchenschänders... erneut aus der Trickkiste der Geschichte holten?“ Sie erwähnte in ihrem Brief nicht, daß Angehörige ihrer Familie von den einstigen Verfechtern jenes nun zu neuem Leben erweckten Judenbildes ermordet wurden. Sie schrieb nicht, daß sie ihre umgebrachten Angehörigen verhöhnt oder sich persönlich beleidigt sehe. Sie wollte nur wissen, ob der Verlag sich vorstellen konnte, was er da anstellte.
Er konnte. Der Verlagsleiter Rolf Chowanetz kam in seinem Antwortschreiben rasch zur Sache. Er beförderte die Kritik der Leserin mit einer Handbewegung ins Abseitige. Ihr Brief sei, schrieb er zurück, „übrigens die einzige Reaktion dieser Art, die bei uns eintraf“, womit er andeuten wollte, daß das Buch eine ganze Reihe artgerechter Reaktionen ausgelöst hatte. Aber trotzdem nahm er den singulär gebliebenen Einwand übel. „Mich macht Ihre Auslegung betroffen“, umschrieb er seinen Ärger. Die empörte Leserin habe wohl gar nicht zur Kenntnis genommen, daß es, wie er sie belehrte, „seitdem es unseren Verlag gibt, sein unbedingtes Anliegen war und geblieben ist, gegen Rassismus, Faschismus und Antisemitismus mit Literatur und Publizistik anzugehen.“ Daß bei diesem Dauerlauf gegen Rassismus, Faschismus undsoweiter vor allem er selbst die Wand war, die im Wege stand, teilte er auch gleich mit: „Werke von über 100 Autoren und Künstlern jüdischer Herkunft, gleich welcher Weltanschauung, wurden in diesem Hause hervorgebracht.“ Eine Bemerkung, die er wohl der Reichsschrifttumskammer abgelauscht hatte.
Der Autor jenes im Verlag „Neues Leben“ wiederaufgelegten Romans heißt Adolf Sommerfeld. Er war ein Schriftsteller, der sich schon vor vielen Jahrzehnten mit Themen und Fragen befaßt hatte, die offenkundig nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. Was katholische Bischöfe oder der Ex- Präsidentschaftskandidat etwa zur Rolle der Frau zu sagen wissen, war von Sommerfeld längst abgehandelt worden unter dem Titel „Die Entartung des Weibes“; und daß, wie von Sommerfeld beschrieben und wie es dann bei den Nazis hieß, im Berliner Scheunenviertel „sich der Deutsche wie im Feindesland fühlen mußte“, ist ja auch keine originäre Regung Heitmanns, selbst wenn diese ihn an einem anderen Ort überkam.
„Ich verstehe Empfindlichkeit in hohem Maße“, schrieb der sturzbetroffene Verlagsleiter, „aber das sollte den Blick vor gelebter Realität in vergangenen Zeiten ... nicht verschließen.“ Selten liest man heute Sätze, die so deutlich von der Langzeitwirkung nationalsozialistischer Propaganda zeugen wie diese ernst gemeinte Bemerkung, in welcher der Wahn die Wirklichkeit ersetzt hat. Dem Autor des „Kriminalromans aus dem Scheunenviertel“ hat das damals alles nichts genutzt, weder sein Vorname noch das Nachtreten gegen die Glaubensgenossen aus dem Osten. Sommerfeld wurde 1943 deportiert und ermordet. Mit der Neuauflage von „Das Ghetto von Berlin“ wurde nicht der Ermordete, sondern der Unfug, den er geschrieben hat, rehabilitiert, ganz so, als wäre er wegen seiner Ressentiments vergast worden.
Gute Absicht und Infamie liegen hier eng beisammen. Die Deutschen sind gerade überbeschäftigt, Ausländer zu verprügeln und umzubringen. Da haben sie wenig Zeit, auch noch für Nachschub beim Antisemitismus zu sorgen. Da darf nun auch mal ein toter Jude einspringen.
Adolf Sommerfeld: „Das Ghetto von Berlin“, Verlag Neues Leben, 152 Seiten, geb., 24,80 DM
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