: Autoschieber in der Sahara
Es läuft schlecht mit dem Gebrauchtwagenhandel in exotischen Regionen: Passionierte Fernfahrer können sich jedoch nach wie vor an einsamen Pisten und Fleckchen erfreuen ■ Von Berthold Kuhn
Die Stadt El Oued liegt im scheinbar unendlichen Sanddünenmeer des östlichen Großen Erg der algerischen Sahara. Große Dattelpalmengärten haben El Oued zu einem bescheidenen Wohlstand verholfen. Traumhaft schöne Sanddünen, Palmenhaine, Kamele und Pfefferminztee locken Wüstenfans in die algerische Sahara. Abenteurer erhoffen sich, mit Autoüberführungen durch die algerische Sahara bis nach Mali und Niger nicht nur ihren Urlaub in Nordafrika und den Sahelstaaten zu finanzieren, sondern auch ein einträgliches Geschäft.
Als Autoschieber sind wir in der algerischen Wüste nicht nur bei Taxifahrern, Werkstattbesitzern und Ersatzteilhändlern willkommen. „Wegen der restriktiven staatlichen Importpolitik brauchen wir dringend Ersatzteile“, sagt Abdelmullah, Bauunternehmer aus El Oued, der sich Ersatzteile für seine Fahrzeuge aus Europa besorgen muß.
In Westafrika, Endstation der meisten Sahara-Durchquerer, schätzen einheimische Taxiunternehmer die europäischen Gebrauchtwagen, die trotz der Wüstendurchquerung im Vergleich zu einheimischen Fahrzeugen meist gut erhalten sind und aus Zeitnot oft unter den üblichen Preisen für Gebrauchtwagen verkauft werden. In den Städten Gao in Mali und Arlit in Niger, den klassischen Verkaufsplätzen in Westafrika, warten die Autohändler seit Frühjahr 1991 vergeblich auf die beliebten Peugeot- und Mercedes-Limousinen aus Europa. Auch Tankstellenbesitzer in Tunesien, Algerien und Marokko, die sich gerne als Zwischenhändler für Autoradios, Altreifen und Ersatzteile betätigten, gehen leer aus. Nur noch wenige fahren mit dem Auto über Tunesien oder Marokko in die algerische Sahara.
Die goldenen Jahre der Autoschieber sind gezählt. Die Südgrenzen Algeriens sind seit knapp drei Jahren praktisch nicht mehr passierbar, weil marodierende Banden und Tuareg-Rebellen die Wüstenpisten im Norden von Mali und Niger kontrollieren. Außerdem hat Frankreich vor einigen Monaten die Währungsbindung mit 17 afrikanischen Staaten, darunter Niger und Mali, aufgelöst. Der westafrikanische Franc (CFA) ist seitdem in seinem Wert drastisch gefallen, und afrikanische Autohändler können nur niedrige Preise für Importwagen bezahlen.
Wer trotz der gespannten politischen Lage im Norden Algeriens und der Grenzprobleme im Süden in die Sahara aufbricht, kann kaum noch ein einträgliches Geschäft machen. Doch eine intensive Wüstenerfahrung in den Sahara- Oasen und auf verlassenen Pisten ist ihm oder ihr garantiert.
Mit unseren drei Mercedes-Limousinen fahren wir von El Oued aus nach Ghardaia, der Hauptstadt des Berbervolkes der Mozabiten und einer der schönsten Sahara- Oasen.Die Stadt liegt auf einer Anhöhe. Auf dem „Souk“ (Markt) werden Kunstschmiedeartikel und Teppiche verkauft. Vom Hotel M'zab, der ersten Adresse in der Stadt, blickt man direkt auf den alten Stadtkern, die einfach gebaute Moschee und die kleinen Palmenhaine. Ghardaia vermittelt die Atmosphäre einer Sahara-Oase, wo geschäftiges Markttreiben und bedrohliche Verlassenheit eng beieinander liegen.
Von Ghardaia führt eine Asphaltstraße über El Golea nach Timmimoun, der „roten Stadt“. Die Lehmbauten der Oase sind kleine architektonische Meisterwerke und ebenso bewundernswert wie das ausgeklügelte Wasserverteilungsnetz in den großen Palmengärten. Durch schmale Kanäle, angefertigt aus Lehm, wird das Wasser zu den Gärten transportiert. Es hält die Oase am Leben. Timmimoun bietet sich als kleine Erholung vor dem Aufbruch in die Tanazrouft-Wüste, das Land des Durstes, an. Die beiden Oasen Adrar und Reggane, die letzten Versorgungsmöglichkeiten vor Bordji Moktar, dem algerischen Grenzposten vor Mali, sind bei Wüstenfahrern wegen der guten Reparaturmöglichkeiten beliebt.
In Reggane verlassen wir die Asphaltstraße. Auf knapp 1.500 Kilometern folgt ein großes Sandfeld, genannt „Tanazrouft-Piste“, das bis nach Gao in Mali führt. So weit der Blick reicht, nur sandige Wüstenlandschaft, die Spuren verlieren sich, die Orientierung ist trotz Markierungen im Abstand von zehn Kilometern schwierig. Sandfelder oder hügelige Passagen erfordern weiträumige Umfahrungen. Die Hauptpiste ist zuweilen wegen tiefer Spurrillen der Versorgungslastwagen für überladene Pkws nicht mehr befahrbar. Treibstoff für mehr als 1.000 Kilometer, Wasserreserven von mehr als 50 Liter pro Person, Sandbleche und Ersatzteile verringern die Bodenfreiheit der Fahrzeuge. An der Grenzstation gibt es nur eine begrenzte Versorgung mit Diesel und Benzin, selbst Wasser ist nur in kleinen Mengen zu bekommen.
Die Fahrtzeit auf der Piste ist wegen der enormen Hitze ohne Schatten auf wenige Stunden am Morgen und am späten Nachmittag begrenzt. Pannen bedeuten für uns eine weitere Verzögerung. Das mitgeführte Trinkwaser erreicht fast den Siedepunkt. Sonnentee ist immerhin eine Abwechslung zum fahlen Wassergeschmack. Auf halber Strecke liegt der Grenzposten Bordji Moktar, seit 1990 aus Sicherheitsgründen Endstation der Lastwagenfahrer. Auch für Privatautos ist der Weg nach Mali wegen drohender Überfallgefahr nicht zu empfehlen. Den algerischen Grenzposten trennen 160 Kilometer von der malischen Grenzstation Tessalit. Die beschwerliche 700 Kilometer lange Piste von Reggane bis an die Grenzstation ist eine Sackgasse. Die Entscheidung zur Umkehr treffen wir schweren Herzens. Statt afrikanischem Markttreiben erwartet uns wieder die Einsamkeit der Wüste.
Doch die Fahrt durch die Wüstenlandschaft der „Tanazrouft-Piste“ ist auch beim zweiten Mal genauso faszinierend. Auf der Piste gibt es seit 1989 eine kleine Sensation. Bei Kilometer 200 vor Reggane unterhält ein Einsiedler aus dem Norden des Landes ein kleines Schwimmbad. Das Wasser kommt direkt aus einer Quelle, wird ständig erneuert und wirkt in der übermäßigen Hitze angenehm kühl. Als die Wüstenstrecke noch regelmäßig von Lastwagenfahrern, Touristen und Autoschiebern befahren wurde, entstand die Idee, ein kleines Hotel mitten in der Wüste aufzubauen. Der Bau ist weitgehend fertiggestellt – es fehlen die Gäste. Dabei liegt das kleine Paradies nur 200 Kilometer von einer Asphaltstraße entfernt. Die schwierig zu befahrende Piste und die schlechte Versorgungslage schrecken Touristen von einem Abstecher in die Tanazrouft-Wüste ab. Sie verweilen lieber in Beni Abbes oder der kleine Oase Taghirt, die inmitten großer goldfarbener Sanddünen liegt.
Sanddünenskifahren und Ausflüge zu antiken Felsmalereien sind in Taghirt eine besondere Attraktion. Der Campingplatz liegt direkt vor einer riesigen Sicheldüne. Tagine und Couscous werden in einem kleinen Restaurant in der Nähe des Jugendclubs, der einen Skiverleih betreibt, besonders gut zubereitet.
Von Taghirt aus sind es noch ungefähr 200 Kilometer bis zur marokkanischen Grenze. Der kleine Grenzübergang bei Figuig ist jedoch nicht auf Touristen mit Auto vorbereitet. Wer noch eine Versicherung für Marokko benötigt, muß 400 Kilometer weiter nördlich bei Oujda einreisen.
Während in Algerien der Autoverkauf streng untersagt ist, konnte man in Marokko bis August 1993 ältere Dieselfahrzeuge gut verkaufen. Inzwischen sind mehr als zehn Jahre alte Fahrzeuge praktisch unverkäuflich. Erhöhte Zollgebühren machen selbst den Verkauf der beliebten Mercedes- Limousinen zu einem großen Problem. Potentielle Kunden wie Taxifahrer und Werkstattbesitzer sind nur an Ersatzteilen für die stark beanspruchten Mercedes- Diesel-Taxis interessiert. Wüstenfans, die mit dem eigenen Auto unterwegs sind, können inzwischen kaum mehr darauf hoffen, ihr Fahrzeug nach Ende der Reise günstig zu verkaufen.
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