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Die Öko-Tanne liegt voll im Trend

Draht und Altpapier verdrängen Plastik-Weihnachtsbaum und Bleilametta / Ost- und Westgeschmäcker unterscheiden sich noch merklich / Die Yuppies lieben es sorgfältig mundgeblasen  ■ Von Lars Klaaßen

Alle Jahre wieder stellt sich auch den letzten Zeitgeistignoranten die Frage nach dem richtigen Weihnachtsbaum. Ein eher klassisches Modell empfiehlt Anke Klewitz, Abteilungsleiterin im Kaufcenter am Frankfurter Tor: „Unser Renner sind in diesem Jahr lilafarbene Christbaumkugeln und natürlich das gute alte Bleilametta.“ Nur mit den Plastikbäumen gehe das Geschäft nicht mehr so gut wie noch vor wenigen Jahren. Nach der Wende waren die unverwüstlichen Evergreens ein absoluter Verkaufsschlager.

Aber: „Die Zeit der Plastikbäume ist vorbei“, versichert Margit Hermann. Die Einkäuferin der Weihnachtsdeko-Abteilung des KaDeWe schwört auf die Recyclingtanne: „Wir haben einen Baum aus Altpapier im Sortiment. Das Gestell ist aus Draht und genauso haltbar wie die Plastiktannen. Mit dem wachsenden Umweltbewußtsein der Kunden wird auch die Nachfrage nach diesem Modell immer größer.“ Verglichen mit ihrer Konkurrenz schneidet die Öko-Tanne auch optisch sehr gut ab. Umweltbewußte Konsumenten müssen dafür etwa fünf Prozent mehr bezahlen; ein großer blauer Schein muß es schon sein.

An diesen Vorbildbaum gehört dann aber auch kein umweltbelastendes Bleilametta mehr. Margit Hermann bietet auch hier Alternativen: „Voll im Trend sind Kugeln aus Pappmaché und Altpapier, dazu passende Schleifen.“

Für den stolzen Baumbesitzer mit Standesbewußtsein und entsprechendem Geldbeutel gibt es auch Edleres: Wer etwas auf sich hält, hängt sich mundgeblasene Kugeln an den Baum: Innen mit echtem Silber verspiegelt und handdekoriert. „Das ist unser Topangebot in der diesjährigen Weihnachtssaison“, preist Hermann die Wunderkugeln. „Die Leute wollen wieder Weihnachten feiern, wie sie es aus ihrer Kindheit in Erinnerung haben.“ Motto: Nostalgie vom Feinsten. Der Weihnachtsbaum hat von Rezession anscheinend noch nichts gehört.

Bei so viel Pracht ist der Altpapierbaum wohl nicht repräsentativ genug. Da muß es dann doch wieder die Blau- oder Silbertanne sein. Aber Vorsicht mit der Selbstbedienung: „Das illegale Abhacken einer Tanne wird wie ein einfacher Diebstahl geahndet“, warnt Detlef Brenner, Leiter des Abschnitts 11, des Polizeireviers in Heiligensee. Im Forst Tegel ist es in den letzten Jahren kaum noch zu solchen Wildereien gekommen, wie Johann Müller vom Forsthaus Tegel versichert. Das liegt aber weniger am Umweltbewußtsein der Bürger als am abnehmenden Nadelbaumbestand. Helmuth Krüger, der Forstamtsleiter von Friedrichshagen, ärgert sich zwar mehr über die wachsenden Müllberge im Wald, doch auch die Baumklauer wurmen ihn: „Die fällen zwar nicht viele Bäume, aber meistens die besten unseres Bestandes. Das Bußgeld für ertappte schwarze Schafe richtet sich deshalb nach Größe und Qualität des Baumes.“

Die Kiefer brennt auch noch im Juni

Karl-Heinz Poschke ist da eine bessere Adresse; er verkauft Weihnachtsbäume aus dem Harz auf der Prenzlauer Allee. Anstatt auf die edlen Tannen schwört er seine Kundschaft auf die Kiefer ein: „Das ist ein preisgünstiger Baum, der in den meisten Fällen eine sehr schöne Form hat. Außerdem kann man den bis Ende Februar stehen lassen, ohne daß er nadelt.“

Weihnachtsbäumen, die monatelang in der Wohnung stehen, kann Horst Walter gar nichts abgewinnen. Der Zugführer bei der Berufsfeuerwehr in Schöneberg weiß um die Gefahren völlig ausgetrockneter Bäume: „Wenn so eine Tanne Feuer fängt, kann es zu einer regelrechten Explosion kommen.“ Einsätze wegen brennender Christbäume hat Walter nicht nur zur Weihnachtszeit: „Ich habe so ein Ding auch schon mal mitten im Juni löschen müssen.“ – Das muß wohl eine Kiefer gewesen sein.

Fahrlässigkeit ist laut Walter die Hauptursache: „Die Leute stellen noch nicht mal einen Eimer Wasser neben den Baum.“ Da sich der Zugführer nicht gern Arbeit mit nach Hause nimmt, kommt ihm ausschließlich die elektrische Lichterkette in den Baum.

Weniger gefährlich sind da die Tannen im Topf. Sie trocknen nicht aus und brennen deshalb nicht so schnell. Inhaber dieser Topfpflanzen haben noch dazu den ökologischen Imperativ auf ihrer Seite: Wer keine toten Tiere spazierenträgt, stellt sich auch keine toten Bäume ins Wohnzimmer! Doch es muß einiges beachtet werden, um das Bäumchen am Leben zu halten. Grit Rose, Inhaberin eines Blumenladens in Prenzlberg weiß Rat: „Der Baum darf erst am Heiligen Abend in die Wohnung geholt werden. Wenn er zu lange im Warmen steht, schlagen seine Triebe aus. Kommt er dann wieder nach draußen, verkraftet er die Kälte nicht.“ Hinzu komme, daß die Tanne möglichst bald eingepflanzt werden sollte. Ohne Garten oder Balkon funktioniert die Naturlösung also nicht. Ein Ausweg: Studentin Petra dekoriert einfach ihre Zimmerpalme.

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