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SanssouciVorschlag

■ „Die Welt von Tim und Struppi“ im Institut Français

Foto: Carlsen Verlag

Er hat nie eine Frau geküßt. Die einzige Zunge, die er je in seinem Gesicht spürte, gehörte seinem Foxterrier Struppi. In 46 Jahren erlebte er 24 Abenteuer, doch er alterte nicht, blieb immer diese embryonische Kreatur mit Haartolle, Punktaugen, Stupsnase und Strichmund. Wurde es eng in seinen Abenteuern, transpirierte er so stark, daß sich rund um sein Gesicht Schweißperlen bildeten – das erste Mal 1929. Da schickte ihn sein belgischer Erfinder Georges Remi alias Hergé in das Land der Sowjets. Hergé zeichnete die Geschichte für die wöchentliche Kinderbeilage einer katholischen Tageszeitung, die daraufhin ihre Auflage innerhalb eines Jahres versechsfachte. Die erste Reise des braven, flinken Reporters war durch die katholische Pfadfindernostalgie seines 21jährigen Erfinders Hergé geprägt: Im Land des Bösen tritt er – möglichst gewaltfrei – für das Gute ein, woran er von den Kommunisten ständig gehindert wird. Hergés Recherche für diesen Band war spärlich: Er las das Buch eines belgischen Konsuls, der die Sowjets nicht leiden konnte.

Mit „Der blaue Lotus“ beginnt Hergés „dokumentaristische Phase“. Er recherchierte monatelang in China, um seinen Lesern gegenüber „ehrlich“ zu sein. Mit diesem Band wurde auch der Held zu einer menschlicheren Figur, die Schwäche zeigen durfte: Zum ersten Mal weinte er. Nach und nach etablieren sich die Hauptfiguren in den Geschichten. Das Detektivduo Schulze und Schultze verkleidet sich an jedem Ort in Landestracht, um unerkannt zu bleiben. In „König Ottokars Zepter“ (1939) taucht dann die Mailänder Nachtigall Bianca Castafiore auf. Sie, eher Geschrei als Person, und Kapitän Archibald Haddock werden zum Adoptivelternpaar des Helden, der „das Glück gehabt hat, als Waisenkind auf die Welt zu kommen“ (Hergé). Ihre Coloraturen beantwortet Haddock mit einer sagenhaften Vielfalt von 1.800 Flüchen.

Bis heute sind 180 Millionen Bände des blonden Reporters verkauft worden. Sie wurden in 45 Sprachen übersetzt. Noch immer wollen Kinder bei Comic-Festivals Unterschriften des Autors und Zeichners. Doch Georges Remi ist seit zehn Jahren tot, aber sein Held lebt immer noch. Nils Klawitter

Die Ausstellung läuft noch bis 31.1., Mo.–Fr. 11–19 Uhr, im Institut Français, Unter den Linden 37, Mitte.

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