: Ende eines Kolonialmärchens
Australiens Senat erkennt erstmals Bodenrechte der UreinwohnerInnen an ■ Von Dorothea Hahn
Berlin (taz) – Im Jahr 205 nach Ankunft der ersten Weißen haben Australiens letzte UreinwohnerInnen am Mittwoch ein Stück ihres Landes zurückerobert. Der Senat verabschiedete ein Gesetz, wonach UreinwohnerInnen einen Rechtsanspruch auf von ihnen besiedeltes Land erheben können.
Erstmals erkennt das Australien der ImmigrantInnen damit an, daß der Kontinent bereits BesitzerInnen hatte, als er dem Empire einverleibt wurde. Zuvor galt das „terra nullius“-Prinzip, wonach das australische Festland und die benachbarten Inseln niemandem gehörten. Die traditionellen Besitzverhältnisse der mehr als 200 Völker, die Australien seit über 50.000 Jahren bewohnten, galten als inexistent.
Den ersten schweren Rückschlag erlitt diese juristische Fiktion im Juni 1992, als der Oberste Gerichtshof entschied, daß die Murray-Insel in der Torres-See dem Volk der Meriam gehört. Die Meriam hatten in einem zehnjährigem Rechtsstreit nachweisen können, daß sie die kleine zu Australien gehörende Insel auch heute noch bewirtschaften wie ihre Vorfahren vor Hunderten von Jahren. Hauptkläger Eddie Mabo war vor Gericht gezogen, weil er befürchtete, der Bundesstaat Queensland würde seine Insel requirieren, wie er es zuvor schon mit dem Land zahlreicher anderer Aborigines- Völker getan hatte.
Der Sieg der Aborigines im „Mabo-Fall“ löste eine Welle von Rückgabeforderungen aus. Aborigines erhoben Anspruch auf das Gebiet der heutigen australischen Hauptstadt Canberra, auf touristische Inseln im Great Barrier Reef und das Bankenviertel von Sydney.
Parallel zu der Prozeßlawine entwickelte sich ein neues schwarzes Selbstbewußtsein. Erstmals taten sich die zersplitterten und zerstrittenen Organisationen aller Aborigines zusammen. Gemeinsam forderten sie einen Vertrag mit der australischen Regierung, ähnlich denen, die die Kolonialisten in Kanada, den USA und Neuseeland mit den UreinwohnerInnen schlossen. Nur die radikalsten australischen Aborigines sprachen von einer separaten „Aborigine-Nationalität“ und forderten einen unabhängigen Staat.
Das Australien der ImmigrantInnen reagierte gespalten auf den „Mabo-Fall“: Der sozialdemokratische Regierungschef Paul Keating stellte die „Versöhnung“ mit den UreinwohnerInnen in den Mittelpunkt seiner Politik und bereitete das Gesetz über die Landrechte vor, das jetzt angenommen wurde. Ein großer Teil der Bevölkerung und die konservative Opposition zeigten vor allem Panik angesichts der Forderungen der heute rund 250.000 Aborigines – knapp zwei Prozent der Bevölkerung. Die Angst, der eigene Vorgarten könnte von den traditionellen Eigentümern requiriert werden, war monatelang Hauptgesprächsthema. Besonders ablehnend standen die Farmerlobby und die einflußreichen Bergbauunternehmen dem Reformvorhaben gegenüber. Australische und ausländische – besonders japanische – Bergbauunternehmen drohten mit einem Investitionsboykott, wenn ihnen nicht freier Zugang zu den reichen Bodenschätzen, die von Uran bis Bauxit reichen, garantiert würde. Die massive Opposition führte zu 200 Veränderungen und einer Verwässerung der historischen Reform. Was jetzt verabschiedet wurde, tut selbst Farmern und Minengesellschaften nicht mehr weh, denn sie behalten ihre Nutzungs- und Pachtverträge. Auch gegen eine künftige wirtschaftliche Nutzung ihres Landes können die Aborigines kein Veto einlegen. Das neue Gesetz gibt ihnen lediglich das Recht, „zu verhandeln“.
Der Kreis der potentiellen Nutznießer der Reform ist winzig. Denn Aborigines, die vor Gericht ihre Landrechte erstreiten wollen, müssen nachweisen, daß sie die traditionelle Bindung an den Boden, den ihre AhnInnen besangen, nicht verloren haben. Sie müssen seit Beginn der Kolonialisierung kontinuierlich auf dem Land gelebt und es genutzt haben. Dieser Nachweis kann nur ganz wenigen gelingen. Denn die meisten Aborigines sind – so sie die Kolonisierung überlebten – in Ketten abgeführt und fernab ihrer Heimat zu Zwangsarbeit verpflichtet worden. Ihre Nachfahren leben heute in den Großstädten an der australischen Ostküste. Die meisten von ihnen sprechen nur noch Englisch und wissen nichts mehr von der Lebensweise ihrer Ahnen. Noch bis zum Ende der 60er Jahre wurden unehelich geborene Aborigine- Kinder zwangsadoptiert. Diese wuchsen meist in weißen Familien auf. Eine Entschädigung dieser Opfer der Kolonisierung – Australiens UreinwohnerInnen erhielten erst 1967 volle Bürgerrechte – ist in dem Gesetz nicht vorgesehen. Weil es die Besitzlosigkeit der Mehrheit der Aborigines kein bißchen ändern wird, nannte der Aborigine-Sprecher Paul Coe das Gesetz im vergangenen August „legalisierten Landraub“.
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