: Bremer Luft überall vergiftet
■ In Bremen werden 1994 fast überall Schadstoff-Grenzwerte überschritten
Der Kampf gegen die Krankheit Verkehr geht in Bremen im neuen Jahr in die nächste Runde. Die Ergebnisse der bereits im November heiß diskutierten Studie „Gesundheit und Verkehr“ werden den Befürwortern einer Verkehrsreduzierung ebenso den Rücken stärken wie eine neue Grenzwert-Richtlinie zu Schadstoffen in der Luft. Umwelt-Staatsekretär Uwe Lahl erwartet denn auch „Argumentationshilfe“ für eine Strategie gegen eine weitere Belastung der Menschen durch Schadstoffe aus dem Straßenverkehr.
Die Studie „Gesundheit und Verkehr“ des Bremer „Büros für Verkehrsökologie“ (BVÖ) hatte im November bereits für Wirbel gesorgt. (vgl. taz 16./19.11.) Im Auftrag der Gesundheitsverwaltung war die Belastung von Bewohnern der Neustadt und der Vahr durch Lärm, Stickstoff, Dieselruß und Benzol untersucht worden. Die Studie kam zu dem Ergebnis, daß in der Neustadt zum Teil erhebliche Belastungen und daher ein erhebliches Krebsrisiko bestehen. Kurz vor der öffentlichen Diskussion der Ergebnisse mit den BewohnerInnen der Neustadt wurde der Termin jedoch abgeblasen und auf Januar verschoben. „Es wird nichts vertuscht, sondern wir brauchen einfach mehr Zeit“, meinte Gesundheits-Senatorin Gaertner damals. Ihre Sprecher Jochen Eckertz weist denn auch darauf hin, daß es keine Änderung an den Daten der Studie gebe. Nur die Verständlichkeit und Präsentation solle vom BVÖ nachgebessert werden.
Das ist jetzt geschehen. „An den Daten hat sich nichts geändert“, heißt es vom BVÖ. Auf Wunsch der Gesundheitsbehörde haben die ExpertInnen allerdings die Fixierung auf die Neustadt relativiert: so sei die Schadstoffbelastung durch den Verkehr, die für die Neustadt errechnet worden ist, durchaus auch in anderen Stadtteilen wie Gröpelingen, Walle oder im Viertel zu erwarten, wo es ähnlich stark befahrene Straßenschluchten gibt. Einerseits ist dies eine Relativierung des Risikos in der Neustadt, andererseits die Erkenntnis, daß man an vielbefahrenen Straßen überall in Bremen viel wahrscheinlicher an Krebs aus dem Auspuff stirbt als an Verkehrsunfällen: Benzol und Dieselruß liegen bei der Studie teilweise beim Zehnfachen des Leitwerts.
Zum 1. Januar 1994 ist es zumindest für Stickstoff vorbei mit den unverbindlichen Grenzwert-Empfehlungen. Dann gilt eine EG-Bestimmung mit einem „echten“ Grenzwert von 200 Mikrogramm und einem „echten“ Alarmwert von 135. In der Neustadt wird auf Grundlage der Studie „Verkehr und Gesundheit“ dieser Grenzwert in der Oldenburger Straße erreicht, der Alarmwert mehrfach überschritten. Auf Bremen hochgerechnet bedeutet das, daß ab 1. Januar die Belastung der Luft mit Schadstoffen weitläufig gegen rechtlich geltende Grenz- und Alarmwerte verstößt.
„Die Daten in der Studie sind in Ordnung“, meint Uwe Lahl. Die angegebenen Benzol-Werte kann er nach langen Meßreihen aus dem Umweltressort bestätigen. „Jetzt kommt es darauf an, wie man darauf politisch reagiert.“ Bei der Diskussion gebe es zwei verschiedene Auffassungen: „Die einen sagen, daß Grenzwerte keinen umbringen, die anderen sagen, daß man jetzt handeln muß.“ Letztlich könnten die Ressorts Umwelt und Gesundheit aber nur Empfehlungen an die Baubehörde abgeben, die das letzte Wort in der Angelegenheit hat. Und die hatte bereits im November die Seriosität des Gutachtens „Gesundheit und Verkehr“ in Zweifel gezogen. Bernhard Pötter
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