: Einsam grüßt die Lichterkette
Zur Dekonstruktion des Weihnachtsmannes und anderes. Eine besinnliche Stadtbetrachtung ■ Von Detlef Kuhlbrodt
Weihnachtsmänner, Schneeflöckchen, Weihnachtsbaumpiktogramme und Lichterketten prägen das Bild der vorweihnachtlichen Stadt. Das Zentrum der Lichterketten liege im Märkischen Viertel, erzählte eine Kollegin zwischen zwei Zigaretten am Rande einer „CD-Präsentation“ der „Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot“. Doch ganz so ausschweifend, wie erwartet, treiben sie's da nun doch nicht. Auch die angeblich so festlich-fies konsumrauschfördernde Dekoration am Ku'damm wirkt irgendwie mickrig und knausrig. Die Weihnachtsbaumkugel und -ständerausstellung in den Fenstern des KaDeWe scheint konservativ jahrhundertwendebeschwipst; an der Weihnachtsmannblaskapelle gefällt bestenfalls das Wort. „Aber heitschi, bumbeitschi, bumbum“ plärrt es sinnverloren am Breitscheidplatz. So scheinen sich viele denn auch zu fühlen. Das Europacenter möchte wieder Tannenbaum sein, doch es gibt keinen Weg zurück. Einen zerknautscht wirkenden Engel hat die Tusma geschickt; heilige Familien beschränken sich auf Kindergärten und Schulen.
Das Kaufhof-Haus am Alex dagegen ist eine einzige hell leuchtende Weihnachtstorte; am Thälmanndenkmal sieht man sensationell überbordend blinkende und leuchtende Hochhausbalkone. Den Flugzeugen zum Geleit wohl, werfen ein paar Scheinwerfer von der „Wabe“ aus Zeichen an den Himmel – das wirkt dann doch ein bißchen kriegerisch.
Auf der Suche nach weihnachtlichen Schaufenstern trifft man auf KollegInnen, die ebenfalls die besonders originelle Idee hatten, sich die Lichterketten der vorweihnachtlichen Stadt anzuschauen, und mit Notizblock in der Hand durch die Straßen ziehen. Gerade die Fenster kleinerer Geschäfte sind da ergiebig, weil sie Elemente in ihre Dekoration einbauen, die die Weihnachtsbotschaft unterlaufen, verhöhnen oder schelmisch dekonstruieren: Das sorgfältig dekorierte Fenster des „Fensterkleids“ („Dekostoffe und Gardinen“) in der Kantstraße 59 wirkt zum Beispiel auf den ersten Blick wie ein typisches Arrangement: Rechts rodelt ein kleinwüchsiges selbstgebautes Weihnachtsmannkind in einer Art Strampelanzug gen Bildmitte, links korrespondiert ein Weihnachtsmannmann. Im Hintergrund rahmen Gardinen in dezenten Farben das Ensemble. Wenn man länger stehenbleibt, verändert sich der Sinn des Ganzen und bekommt einen Touch ins Bodenlose. Denn der größere, rutenbewehrte Weihnachtsmann wackelt so elektrisch betriebsam, so autistisch und überhaupt nicht feierlich immer wieder mit dem Kopf, bis man es ihm nachtut.
Fast gegenüber, in der Kantstraße 109, im „Tierheim Fritsch“, steckt ein kleiner Weihnachtsmann zusammen mit allerlei Naschwerk für den kleinen Hund in einer Vakuumverpackung. Beim Friseur ist das weihnachtsmännliche Barthaar sehr seltsam dauergewellt; ein paar Meter weiter, im Schaufenster der Glashandlung Kanossa (Kantstraße 90), hat man ihn, die Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern quasi vom Kopf auf die Füße stellend, auf das Wesentliche reduziert: An einer Art elektrisch betriebenem Kleiderständer erinnern seinsvergessen nur noch seine Utensilien, Attribute aus rotem Kreppapier (Mantel, Mütze) resp. Watte, an den Weihnachtsmannkörper. Vielerorten hat man den Weihnachtsmann auch zerstückelt: Als recht archaische Trophäen hängen Weihnachtsmannköpfe an den Adventskränzen eines Blumengeschäfts in der Suarezstraße; ein paar Schaufenster weiter findet man seine blutigen Stiefel. Andernorts wiederum, in der Weddinger Müllerstraße, angespornt sozusagen vom Sog des Verschwindens, dem der Weihnachtsmann zu unterliegen droht, hat man ihn zu King-Kong-Größe aufgeblasen (da sitzt er nun auf dem Karstadt-Dach und weiß nicht, wohin mit seiner Größe).
Eher auf Intensität denn auf traditionelle Bildinhalte setzen diverse Dönerläden und Kneipen. Bunt leuchtet es da und blinkt in komischen Rhythmen wie irgendeine Cola-Rum-selige Lightshow aus den 70er Jahren. Lobend hervorzuheben sind auch die mobilen Miniweihnachtsbäume „mit bunter Lichterkette (6 Lichter, inkl. 2 Ersatzbirnen)“, die von PKWs durch die Straßen gefahren werden. Ein manchmal komischer, manchmal trauriger Effekt entsteht, wenn Waren und Dekoration sich zu widersprechen scheinen. In dem Fenster von „Paul Schulzes Sanitätshaus“ (Herr Schulze ist einer der begnadetsten Berliner Dekorateure, im Herbst dekorierte er ganz meisterlich mit echtem Laub!) finden sich in trauter Freundschaft Tannenbäume aus Pappe, Lametta und kleine Geschenkpackungen neben vielerlei praktischen Orthesen (Stützapparate), Prothesen, Angorahemden und anderen Dingen. Frohe Weihnachten wünscht Herr Schulze in deutsch und türkisch.
Von einer besonders deprimierenden Weihnachtsinstallation können sich traurige Menschen in der Kochstraße 68 ihren letzten Lebensmut nehmen lassen. Dort erfährt ein leistungsstarkes Beerdigungsunternehmen im Erdgeschoß seine traurige Ergänzung durch zehn sinnentleerte Tannenbäume, die in Reihe auf den Balkonen des ersten Stocks stehen. Alle tragen zwar elektrische Lichter, doch keines brennt. Nichts ist so trostlos wie ein Weihnachtsbaum, der geizig aufs Leuchten verzichtet. Nicht weit entfernt, in der Friedrichstraße, findet sich zum Glück das minimalistisch mit einer echten brennenden Kerze ausgestaltete Fenster einer sehr sympathisch wirkenden Schuhmacherwerkstatt.
Am schönsten sind die nächtlichen Blicke aus dem Fenster auf die Häuser gegenüber: Schön und rührend sieht es aus, wenn zwischen hundert schwarzen Hochhausfenstern in der Nacht einige sind, hinter denen die Leute zwar auch schlafen und davon träumen, daß Geschlechtsverkehr ein vergnügliches Unternehmen sei mit spielerischem Charakter, aber die Fenster zum ungerichteten Gruß mit elektrischen Kerzenketten gerahmt und diversen geometrischen Formen beleuchtet haben. Manchmal sind es Tannenbaumpiktogramme oder Kreise, manchmal sind die Kerzen bunt, manchmal farbig – gelb, grün, rot. So zeigt sich – gerade an besonders trostlosen Häusern – eine Schrift, die man nicht lesen kann und die deswegen um so geheimnisvoll-freundlicher wirkt; so als wenn Mitbürger einer krankhaften Verschüchterung zum Trotz dennoch freundlich grüßen wollten aus ihren Zellen der Entfremdung im entmenschten Zentrum der Stadt.
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