RAF in Wort und Bild: Aus dem Leben
■ Eine schwierige Geschichte: Gerhard Richter und der „Deutsche Herbst“
Der Titel des Bilderzyklus ist sachlich und schlicht, beinahe furchterregend in seinem kühlen Gespür für Realität: „18.Oktober 1977“. Der Tag, an dem Hanns Martin Schleyer im elsässischen Mülhausen tot in einem Kofferraum aufgefunden wurde, markierte die Auflösung des politischen Widerstands nach den Studentenunruhen von 1968 in einer letzten blindwütigen Großaktion der RAF. Andererseits fällt das Datum mit den ungeklärten Selbstmorden von Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin zusammen. Gerhard Richter hat versucht, diese Situation in Ölbildern festzuhalten, aus einer verwaschen fotorealistischen Distanz, deren konzipierte Unschärfe schlaglichtartig die Unmöglichkeit eines künstlerischen Kommentars zur politischen Lage aufwirft: Richters Bilder bezeugen, aber sie bekennen nicht. hf
taz: Als Sie den Zyklus zusammenstellten, haben Sie sich acht Monate lang mit dem Tod befaßt. Sie haben sich bis in Details mit den Terroristen beschäftigt, mit Fotos aus ihren Zellen. Was ging in Ihnen vor?
Gerhard Richter: Es war hart. Aber es war ja mit Arbeit verbunden. Ich mußte nicht tatenlos auf Tote starren, sondern Gerhard RichterFoto: Karin Rocholl
konnte auch etwas tun dabei. Indem ich die Toten male, bin ich ja beschäftigt. Wie ein Totengräber, wenn sie so wollen – der hat was zu tun und dadurch wird es fast normale Arbeit. Es ist schon schwieriger, sich den ganzen Tag in den Räumen aufzuhalten, wo die Bilder alle hängen – also mit diesen Bildern zu leben. Aber solange man malt, ist das keine besondere Belastung.
Sie haben sich außerdem mit Gegenständen beschäftigt, die von den Terroristen medial übriggeblieben sind. Mit Fotos aus der Presse.
Ich hatte nur Bücher und jede Menge Fotos. Sehr viele Fotos und natürlich keine Überbleibsel von denen. Auch der Plattenspieler lag mir als Fotografie vor, die ich gesammelt hatte. Natürlich hatte ich vielmehr Fotos, als ich hinterher verwendete.
Das waren Pressefotos.
Ja, die waren aus dem Stern, Spiegel und aus Büchern. Wissen Sie, ich hatte eigentlich vor, es viel breiter zu machen, und wunderte mich dann selbst, daß ich es reduziert habe auf die Toten, auf den letzten Moment. Ich wollte das Thema eigentlich viel breiter anlegen. Mehr aus dem Leben, aus der aktiven Zeit dieser Leute malen, aber das hat gar nicht geklappt, und das versuchte ich dann gar nicht zu malen.
Warum haben Sie damals eigentlich die Abbildung und die Reproduktion einiger Bilder des Zyklus verboten?
Das war noch eine sehr hysterische Zeit, und ich konnte zu Recht befürchten, daß die Presse sich auf so etwas stürzen wird, weil das ja sensationell ist, wenn einer so was malt. Es wäre einfach sehr grausam gewesen gegenüber den Angehörigen und Freunden dieser Toten, wenn das jetzt wieder durch die Presse gegangen wäre. Die Wiederholung dessen wollte ich unbedingt vermeiden.
Fotografie kann etwas ganz Gemeines sein. Denken Sie doch nur an das Bild von Bad Kleinen.
Die Wirklichkeit ist immer noch grausamer. Durch die Kleinheit des Fotos wird es ja schon fast niederträchtig, brauchbar oder akzeptierbar, eben verharmlost. Ich meine, es gibt wirklich schreckliche Fotos, aber die Wirklichkeit ist nun mal schlimmer.
Ist die Fotografie wirklich eine verharmlosende Darstellung der Wirklichkeit?
Ja, sicher. So wie jede andere Abbildung auch. Aber da Wirklichkeit vergeht und eben nur als Abbild festgehalten werden kann, sind Abbilder dann doch nicht mehr so harmlos.
Mir ist aufgefallen, daß mich Ihre Bilder sehr neugierig machen – etwa so wie Fotos, und mit dem Anschauen von Fotos befriedigt man eine Begierde.
Ja, Sie haben recht. Man will sich immer informieren, und deswegen braucht man täglich ein bestimmtes Quantum an Bildern, die uns unsere Wirklichkeit und all ihre Möglichkeiten vor Augen halten. Wenn Sie sagen, daß Sie meine Bilder neugierig machen, meinen Sie damit, daß ein Foto sie weniger neugierig macht als ein gemaltes Foto?
Interview: Stefan Weirich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen