: Die fetten Jahre nach der Wende sind vorbei
■ Flaute in den Berliner Hotels zwischen den Jahren / Hoteliers klagen über zuwenig Gäste / Dennoch ist Berlin noch die meistbesuchte deutsche Stadt
Gelangweilt spült Pedro Maldonado die Gläser seiner einzigen Gäste, einem aus Boston stammenden Ehepaar. „Seit es die Mauer nicht mehr gibt, ist Berlin für Touristen nicht mehr attraktiv“, sagt der aus Granada stammende Barmann. Besonders für die amerikanischen Besucher sei Berlin ein Symbol für den Widerstand gegen den Kommunismus gewesen. Am liebsten hätten sie sich am Brandenburger Tor vor Mauer und Vopos fotografieren lassen. „Jetzt ist Berlin eine Großstadt wie jede andere“, meint Maldonado, „nur hektischer.“
Der Spanier mixt seit zwölf Jahren Cocktails in der Bar des Hotels Hamburg in der Landgrafenstraße. Wenn Gäste da sind, macht ihm die Arbeit Spaß. Doch die kommen immer seltener. Selbst zur Silvesterparty hätten sich nur 150 Personen angemeldet, normalerweise seien es fast 250. Diese Zahlen bestätigt Kathrin Wittig, die an der Hotelrezeption arbeitet. Zum Jahreswechsel seien nur 15 Prozent der Hotelbetten belegt, übers ganze Jahr verteilt etwa 50 bis 60 Prozent. Nicht zu vergleichen mit den Jahren 1990 und '91, als das Hotel ständig ausgebucht gewesen sei. Jetzt habe das Interesse an Berlin nachgelassen. Auch die vielen Baustellen würden die Gäste abschrecken. „Wenn sich die Infrastruktur erholt hat, wird es auch in der Hotelbranche besser werden“, sagt Wittig.
Traditionsgemäß zieht es zwischen Weihnachten und Neujahr nur wenige Touristen nach Berlin. In dieser Zeit haben die meisten Hotels gerade ein knappes Drittel ihrer Zimmer verbucht. Doch auch in den ersten acht Monaten des Jahres 1993 übernachteten in Berliner Hotels fünf Prozent weniger Touristen als im Vorjahr. Zwar ist die neue Hauptstadt mit rund 7,5 Millionen Übernachtungen immer noch die meistbesuchte deutsche Stadt, doch viele Hoteliers klagen über rückläufige Gästezahlen.
„Was sollen die Leute noch in Berlin?“ fragt der Geschäftsführer des Hotels California am Kurfürstendamm. Zufrieden ist er mit der Zahl seiner Hotelgäste nicht. „Seit der Einheitsrummel vorbei ist und die Olympiade nicht kommt, fehlt es Berlin an Perspektiven“, erklärt er die immer weniger werdenden Touristen. Sabine Rogge, Pressesprecherin des Fünf-Sterne-Hotels Esplanade, freut sich dagegen. Seit drei Wochen sei das Hotel zu Silvester ausgebucht. Allerdings, räumt sie ein, über das ganze Jahr gesehen seien weniger Gäste gekommen als in den Vorjahren. Hauptsächlich Geschäftsleute nächtigen in den 402 Zimmern des Luxushotels. Doch wegen der wirtschaftlichen Zwänge würden die Firmen sparen. „Die fetten Jahre nach der Wende sind vorbei“, sagt Rogge. Auch das Hotel Mondial am Kurfürstendamm leidet unter den sparenden Firmen. Zwischen Weihnachten und Silvester kämen sogar so wenig Gäste, daß sie die Zeit für Renovierungsarbeiten nutzten, sagt Magdalena Delor, Sekretärin des Geschäftsführers.
Die neugegründete Berliner Tourismus GmbH (BTM) will diesen Gästeschwund bremsen. 1994 soll auf zehn europäischen Messen das kränkelnde Berliner Image aufpoliert werden. Doch diese Maßnahmen bräuchten Zeit, sagt Sprecher Gerhard Buchholz. Frühestens in drei bis fünf Jahren rechnet Buchholz mit einem Anstieg der Übernachtungszahlen. Juliane Echternkamp
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