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Afghanistans Warlords im Endkampf

■ Hunderte Tote in der Hauptstadt Kabul / Usbekengeneral Dostom hat offenbar die Fronten gewechselt und will nun mit Islamistenführer Hekmatjar Präsident Rabbani stürzen / Iran erwägt Eingreifen

Kabul (wps/AFP/taz) – Pünktlich zum Jahreswechsel hat in Afghanistan eine blutige Schlacht um die Kontrolle der Hauptstadt Kabul begonnen. Als am Neujahrstag die Sonne aufging, fielen die ersten Raketen auf den Norden und Osten Kabuls. Außer Panzern und Soldaten war niemand mehr auf den Straßen, Strom und Wasser gab es nicht. Hauptkombattanten waren die Anhänger von Präsident Burhanuddin Rabbani, der große Teile der Stadt kontrolliert, und die Truppen des islamistischen Führers Gulbuddin Hekmatjar, der nominell nach einem im Mai geschlossenen Abkommen Premierminister in Rabbanis Interimsregierung sein soll, sich jedoch weiterhin im Osten Afghanistans aufhält. Beide Seiten machen sich schon seit längerem die Kontrolle der Hauptstadt streitig. Die neuen Kämpfe sollen begonnen haben, nachdem der Dritte im afghanischen Machtpoker – der usbekische General Abdul Raschid Dostom, der den Norden Afghanistans beherrscht – die Fronten wechselte, sich von Rabbani absetzte und sich auf Hekmatjars Seite schlug. Dostom hatte seine Truppen bislang aus den Kämpfen herausgehalten; am Freitag jedoch wurden seine Stellungen von einem Verbündeten Rabbanis angegriffen, worauf er sich mit Hekmatjar verbündete und mit dem Beschuß Kabuls begann. Dostoms Kämpfer schossen von einem alten Fort im Süden der Stadt, während Rabbanis Einheiten aus einem Wohngebiet zurückschossen.

Die Kämpfe hielten gestern unvermindert an. Ein Sprecher Hekmatjars nannte die Offensive eine „islamische Rebellion“ gegen den afghanischen Präsidenten und behauptete, die Rabbani-Gegner hätten den Sender von Radio Kabul, das Finanzministerium und das ZK-Gebäude neben dem Präsidentenpalast unter ihre Kontrolle gebracht. Präsidialsprecher Ziayi sagte im Gegenzug, die Rabbani-treuen Einheiten hätten den bisher von Dostoms Truppen kontrollierten Flughafen von Kabul erobert und 300 Rebellen gefangengenommen. Nach Angaben der Rabbani-treuen Nachrichtenagentur AIP kontrollieren dessen Truppen jetzt „90 Prozent“ des Flughafens. Keine dieser Angaben kann verifiziert werden. Ein Sprecher der Rabbani-treuen afghanischen Botschaft in Pakistan nannte die Ereignisse gestern einen „Putschversuch“, der gescheitert sei, und warf Hekmatjar vor, sich mit Dostom und dem Ex-KP-Führer Mahmud Barjalai gegen die „Souveränität“ Afghanistans verschworen zu haben. Die Regierung sei entschlossen, die „Abenteurer“ zur Rechenschaft zu ziehen.

Klan-Intrigen bestimmen Kabuls Schicksal

Dafür ist Rabbanis Macht jedoch wohl zu gering. Daß er sich bisher in Kabul halten konnte, war vor allem dem Stillhalten Dostoms zu verdanken, dessen Truppen 1992 maßgeblich zum Sturz des kommunistischen Regimes beigetragen hatten. Sollte Dostom sich definitiv gegen Rabbani gewandt haben, ist Rabbanis Position empfindlich geschwächt.

Erst vor einer Woche hatten Rabbani und Hekmatjar einen Waffenstillstand geschlossen. Bei verschiedenen Artillerieangriffen auf Kabul waren seitdem jedoch mehrere Dutzend Menschen getötet worden. Die Kämpfe vom Wochenende sollen Hunderte Tote gefordert haben.

Ein Sprecher des iranischen Außenministeriums sagte am Samstag, Iran sei zum Einschreiten bereit, um den Kämpfen ein Ende zu bereiten. Unklar ist, wie sich bei der neuen Zuspitzung die kleineren proiranischen und prosaudischen Gruppen verhalten haben. Zunächst hatte es geheißen, die proiranische Hizbe Wahdat und die prosaudische „Islamische Einheit“ von Abdulrasul Sajjaf hätten sich der Hekmatjar-Dostom-Allianz angeschlossen. Dies wurde jedoch gestern von der Seite Rabbanis bestritten. Auf dessen Seite steht nach wie vor der Milizenführer und Ex-Verteidigungsminister Ahmed Shah Massud.

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