piwik no script img

„Wir werden zu Hampelmännern“

■ UNO-Soldaten in Bosnien beklagen Autoritätsverlust – trotz guter Arbeit

Split (taz) – „Gehen Sie bitte durch die Gepäckkontrolle und dann zu dem Movcon-Schalter.“ Der portugiesische Offizier auf dem Flughafen von Sarajevo bleibt freundlich und verbindlich, obwohl er diesen Satz schon tausendmal gesprochen haben mag. Hier ist das Nadelöhr, durch das alle diejenigen durchzugehen haben, die Sarajevo besuchen oder verlassen wollen. Und auf diesem Terrain, das vollständig von den UNO- Schutztruppen für das ehemalige Jugoslawien (Unprofor) kontrolliert ist, sind wie nirgendwo sonst in Ex-Jugoslawien die Blauhelme international gemischt.

Unter dem Kommando von französischen Offizieren sind hier Soldaten aus 17 Nationen, aus Norwegen und Finnland, aus Kanada, Malaysia, Nepal, der Ukraine, den USA, aus Ägypten, Jordanien, Nigeria und anderen Ländern tätig. „Wie dies hier alles ineinandergreift, wie die hier zusammenarbeiten, das ist schon bemerkenswert“, sagen staunend viele Passagiere.

11.200 UNO-Soldaten sind in Bosnien-Herzegowina stationiert, in den Gebieten, die vom „Kroatischen Verteidigungsrat“ HVO oder von der bosnischen Regierung kontrolliert werden. So stehen spanische Truppen in der Gegend von Mostar, britische in Zentralbosnien, in Gornji Vakuf und in Vitez, ein kanadisches Bataillon in Visoko, das Nordische Bataillon in Tuzla, in Sarajevo selbst je ein ägyptisches, französisches und ukrainisches Bataillon und kleinere Einheiten in den ostbosnischen Enklaven Žepa (Ukrainer) und Srebrenica (Kanadier). Im serbisch besetzten Teil Bosniens sind dagegen keine Unprofor-Truppen anzutreffen, denn seit Beginn des Krieges haben die serbischen Militärs dies verboten. Die UNO hält sich daran.

Alle UNO-Einheiten sind mit leichten Waffen ausgerüstet. Allerdings sind ihre Panzer zunehmend „schwerer“ geworden. Haben die Briten vor allem mit ihren schnellen und wendigen „Warriors“ die Konvois nach Zentralbosnien geleitet, so wurde kürzlich das nordische Bataillon in Tuzla mit sieben Leopard-Panzern nachgerüstet.

„Wir sind nicht hier, um zu kämpfen, wir sind lediglich dazu da, die Transporte des UNO- Hochkommissariates für Flüchtlinge (UNHCR) zu sichern“, sagen seit der Entsendung der UNO- Truppen im Sommer 1992 die Sprecher der Unprofor immer wieder. Erst einmal mußten Straßen nach Zentralbosnien eröffnet werden, denn mit den Kämpfen wurden die meisten normalen Verkehrsverbindungen unterbrochen. Die UNO-Truppen bauten zum Beispiel im Herbst 1992 in kurzer Zeit einen Feldweg von der westherzegowinischen Stadt Tomislavgrad nach Prozor an der Grenze zu Zentralbosnien aus, so daß auch im Winter schwerbeladene LKWs fahren können. Auch die Brücken im Neretva-Tal, über die die meisten Transporte nach Sarajevo liefen, wurden im Winter 1992/93 zeitweise wiederhergestellt.

Wer einmal als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, als Fahrer eines LKWs mit Hilfsgütern oder als Journalist in den Kriegsgebieten unterwegs war, der weiß die Hilfestellung der UNO-Truppen wohl zu schätzen. Es ist für alle ein beruhigendes Gefühl, wenn die Konvois von UNO-Fahrzeugen und Panzern durch die Kriegsgebiete geleitet werden. Vor allem die britischen Soldaten haben auf der gefährlichsten Strecke zwischen Prozor, Gornji Vakuf, Vitez bis Zenica viel zu tun. In diesem Gebiet sind Scharmützel und offene Kämpfe zwischen Kroaten und Muslimanen an der Tagesordnung, die Konvois werden manchmal durch Truppen wie durch Scharfschützen unter Feuer genommen.

Die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen und Journalisten dürfen die Schutzräume der britischen Stützpunkte nutzen, bekommen auch Essen und Schlafplätze zur Verfügung gestellt. Dies ist bei Einheiten anderer Nationen nicht selbstverständlich. In den vergangenen Monaten häuften sich die Zwischenfälle, im September und November allein gab es 936. In diesem Zeitraum wurden 12 Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen und UNO-Soldaten getötet, einige Dutzend verwundet. Seitdem die ersten UNO-Truppen im Sommer 1992 nach Bosnien kamen bis Ende November letzten Jahres starben 64 Blauhelm-Soldaten, 10 Mitarbeiter internationaler Organisationen und 34 Journalisten, zwei Reporter werden vermißt.

Die Unruhe unter den UNO- Truppen vor Ort wächst. Ihr Mandat erlaube ihnen nicht, angemessen zu handeln, um die Hilfstransporte und sich selbst zu schützen, meinen sie. Die vielen Zwischenfälle führen zu einem Autoritätsverlust der Blauhelme. Mehrere nationale Kommandos forderten, sich aus dem Kriegsgebiet zurückzuziehen. Für die Vorgaben des Weltsicherheitsrates spielen in manchen Heimatländern noch übergeordnete politische Argumente und Interessen eine Rolle. Doch aus der Sicht der Soldaten vor Ort sind die Vorgaben zu widersprüchlich, um konsistent auftreten zu können.

Die UNO-Truppen würden vor Ort zu Hampelmännern gemacht, erklären viele Soldaten, wenn Drohungen, wie zum Beispiel die des Flugverbots oder die Warnungen an die serbischen Militärs bezüglich des Beschusses von Sarajevo, leer bleiben. Der scheidende Oberbefehlshaber der UNO- Truppen in Ex-Jugoslawien, General Jean Cot, drückt die Stimmung vieler aus, wenn er behauptet, die Blauhelmsoldaten stünden bereit, die Beschlüsse des Weltsicherheitsrates auch durchzusetzen. Sie seien sogar bereit zur Intervention, wenn nur der Befehl dazu aus dem New Yorker UNO-Hauptquartier käme. Immerhin: Gestern beschloß UN-Generalsekretär Butros Ghali, 2.800 weitere Blauhelme nach Bosnien zu schicken. Erich Rahtfelder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen