piwik no script img

Beruhigter Störenfried

■ Günter Wand dirigierte Beethoven in der Musikhalle

Beethovens Erste Sinfonie beginnt mit einem dissonanten Sept-akkord. Das war die Verweigerung nicht nur der Tonart C-Dur, das war die programmatische Absage ans Gewohnte und, bei aller Noch-Nähe zu Haydn und Mozart, der Anfang der modernen bürgerlichen Sinfonik. Damals. Heute wissen das noch Spezialisten. Hören kann es kaum jemand.

Vermutlich waren in der ausverkauften Musikhalle am Sonntagmorgen auch nur wenige, die es hören wollten. Beethoven als sinfonischer Störenfried? - „Das Leben ist unruhig genug!“, stand in Denkblasen über Hunderten von grauen Köpfen im Parkett. Daß diese Musik einst mitten aus ihrer Zeit heraus geschaffen worden ist, daß es in der Eroika darum ging, den Gemetzeln der Geschichte musikalisch gerecht zu werden, also Beunruhigung, Brüche, Kampf zu komponieren, das hörte das Publikum der Uraufführung am 7. April 1805 sofort. Und war ziemlich schockiert.

Daß diese Musik damals als „bizarr“, „wild“ und „schroff“ empfunden wurde, hört man bei Günter Wand freilich nicht mehr. Schon die Eroika-Orchestergrpöße (8 Kontrabässe!) verrät die Absicht, den Bogen von Beethoven zu Bruckner von Bruckner aus zu schlagen. Es macht die Größe dieses Dirigenten aus, daß er trotzdem - etwa in den Scherzi beider Sinfonien, in der nach allen Seiten aus-ufernden Durchführung des Kopfsatzes der Dritten und in deren Finale mit ihrem Kosmos an orchestralen Varianten und Figurationen - noch vielgliedrig, dynamisch spannungsgeladen musiziert. Aber bei so vielen Streichern geht eben manch herrliche Holzbläserstelle unter; bei so viel Größe kommt, neben dem „Andenken an einen großen Menschen“, wie Beethoven in die Partitur des Marcia funebre schrieb, die Verzweiflung über den Tod so vieler „kleiner“ Menschen aller Zeiten einfach nicht auf. In der Musik ist sie noch. Aber schon die Ausschließlichkeit, mit der Günter Wand das Immergleiche programmiert, schließt Aktualisierung aus. Alle Musik ist aber modern. Sie stirbt, wollte man sie nicht stets aufs Neue lebendig machen.

Stefan Siegert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen