: Von Natur aus die Nummer 2
■ Gesichter der Großstadt: Der CDU-Politiker und Verwaltungsbeamte Wolfgang Erichson sitzt im Landesvorstand des Schwulenverbands in Deutschland
Von Micha Schulze
„Sieh mal, es macht doch einen Unterschied, ob eine Anarcho- Tunte mit Unternehmern verhandelt oder ein gutgekleideter Herr im Anzug.“ Wolfgang Erichson glaubt man das sofort.
Der 38jährige trägt Schlips und Pollunder, ist Besitzer des CDU- Parteibuchs, Grundsatzreferent für Pharmazie in der Senatsgesundheitsverwaltung und seit gut einem Monat im Landesvorstand des Schwulenverbands in Deutschland (SVD).
Mehr noch als christdemokratische Parteifreunde dürfte Erichsons Wahl zum SVD-Chef altlinke Schwulenbewegte vom Hocker gerissen haben. Seit über 20 Jahren drängen sie zwar die bürgerlichen Homos zum Coming-out, insgeheim haben sie aber nie damit gerechnet, daß ein schwuler Konservativer einmal aktiv in der Szene mitmischen wird. „Ich will zeigen, daß schwul sein nicht automatisch links sein bedeutet“, übertrifft Erichson ihre schlimmsten Befürchtungen. Der CDU-Mann selbst findet sein schwules Engagement „völlig normal“: „Andere sind im Kaninchenzüchterverein, ich bin halt im SVD.“
Zu seiner Homo-Karriere mußte Wolfgang Erichson allerdings überredet werden. Gedrängt von seinem heutigen Vorstandskollegen Bastian Finke, trat er erst zwei Wochen vor seiner Wahl dem SVD bei – die Personaldecke war dünn, und der Realo-Verband suchte dringend jemanden mit Behörden- und Politikerfahrung. Und die hat Erichson fraglos zuhauf: Bevor er sich im Senat um die Pharmazie kümmerte, war der gelernte Verwaltungsbeamte unter anderem persönlicher Referent der CDU-Senatoren Ulf Fink und Peter Luther. Ein knappes Jahr saß er als Nachrücker in der Charlottenburger BVV.
Nun in einem Verband aktiv zu sein, der auf Bundesebene von den Grünen-Politikern Volker Beck und Günter Dworek dominiert wird, sieht Wolfgang Erichson gelassen: „Mit den Alternativen habe ich gute Erfahrungen.“ Mit Amtsantritt des rot-grünen Senats wechselte er als Referent zur AL-Schulsenatorin Sybille Volkholz. Überredet hatte ihn dazu der alternative Staatssekretär „Cola“ Kuhn, freilich nicht ohne Hintergedanken: Erichson sollte der regierungsunerfahrenen Igel-Partei einige Geschäftsordnungstricks verraten, damit sie von den Sozialdemokraten nicht über den Koalitionstisch gezogen wird. Und das schwarz- grüne Techtelmechtel war erfolgreich: Kuhn, heute Staatssekretär in Brandenburg, wollte im Nachbarbundesland weiterhin mit Erichson zusammenarbeiten.
„Aufgeschlossenheit wurde mir in die Wiege gelegt“, glaubt Erichson, uneheliches Kind einer schwedischen Mutter und eines italienischen Vaters. Sein undogmatisches Auftreten hat ihm in der eigenen Partei jedoch am wenigsten Freunde gebracht. Als Mitglied des berüchtigten „Reformer-Vorstands“ der Jungen Union, der Mitte der siebziger Jahre gegen die „Betonköpfe“ in der Mutterpartei aufmuckte, mußte er sich eine Parteikarriere vorerst abschminken und konzentrierte sich auf die Beamtenlaufbahn. Erst als Ulf Fink ihn aus der „inneren Emigration“ holte, begann er sich zu verwirklichen. Heute darf er sich auf die Fahnen schreiben, die fortschrittliche „Berliner Linie“ in der Aids- Politik gegen Gauweiller mit durchgesetzt zu haben. Und ebenso war er nicht ganz unschuldig, daß Gesundheitssenator Luther als eine seiner ersten Amtshandlungen die Aids-Projekte der Stadt besuchte. „Ich bin von Natur her eine gute Nummer zwei“, beschreibt Erichson seine Stärke, im Hintergrund seinem jeweiligen Chef zuzuarbeiten.
Daß er als Vorstandsmitglied des SVD nun von der zweiten in die erste Reihe wechselte, hat vor allem persönliche Gründe. Seit 1985 Erichsons damaliger Freund an Aids erkrankte und vor zwei Jahren starb, beflügelte die eigene Betroffenheit sein Engagement. Er wirbelte bei „Mann-O-Meter“ und im „Stop-Aids-Projekt“, derzeit versucht er im Verein „Lighthouse Berlin“ ein Hospiz für Aids- Kranke trotz ausgebliebener Senatsunterstützung zu verwirklichen.
Auch im SVD hat sich Erichson eine Menge vorgenommen. So will er die schwulen Unternehmer der Stadt vernetzen und sie zu einer Verbandsgründung anregen, außerdem betreut er ein Forschungsprojekt über die Situation von älteren homosexuellen Männern. Vom Erfolg im Landesvorstand will er seine weitere Laufbahn im Schwulenverband abhängig machen. „Ich komme jetzt ins typisch schwule Alter, wo das Privatleben wichtiger wird als die Karriere“, weist er größere politische Ambitionen von sich. Als „Alibi-Schwuler“ der Bürgerlichen wolle er nicht zur Verfügung stehen, und außerdem rechne er ohnehin nicht damit, daß die SVD ihm als frischgebackenen Homo-Funktionär in absehbarer Zeit einen Posten antragen wird.
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