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Dahinter steckt immer ein kluges Ohr

■ Neu in Bremen: der Deutschlandfunk auf UKW / Wer Musikgedudel und Werbung satt hat, findet jetzt sein Glück

Glücklich, wer dieser Tage noch ein Radio mit Sendersuch-Drehknopf sein eigen nennt: Der kann, so er im Großraum Bremen wohnt, etwas erleben. Bewegt man sich nämlich von dem einen Skalenende („Düüüdidelidüüü“) über Radio Bremen 2 („als Studiogast begrüße ich...“) weg ganz zum anderen Ende, wagt man sich also in die Ekelecke von Antenne Niedersachsen („...“), hört man plötzlich Stimmen. Wörter. Auslassungen. Ansichten. Interviews. Berichte aus allen Winkeln Europas. Sogar aus Bremen! Und man kann diesen Test von Null bis 24 Uhr machen: Die Chance ist groß, daß einem was erzählt wird. Halt was man früher mal für Radio hielt.

Der Deutschlandfunk ist in Bremen eingezogen und hat sich mit dem Segen der Landesmedienanstalt auf die UKW-Frequenz neben Antenne Niedersachsen gesetzt. Dort funkt er nun mit einem Wortanteil von satten 60 Prozent am Tage (nach eigenen Angaben).

Für alle, die nicht auf die Welt gekommen sind, um in jeder aufnahmebereiten Minute irgendeine zielgruppenorientierte Musik ins Ohr geblasen zu bekommen, ist der DLF ein Gewinn. Eine Voraussetzung: Man muß innerlich gefestigt sein.

Der DLF ist nämlich, das streut er gern in seine Presseverlautbarungen ein, „die FAZ des Hörfunks“, was natürlich letztere weit von sich weisen würde. Es hat aber doch eine innere Wahrheit. Wer nämlich nach der Lektüre von Seite 1 der FAZ schon mal in postpubertäre Wuttaumel regrediert, den schüttelt's auch beim DLF bisweilen heftig durch.

Dieser Sender ist nämlich zuallererst staatstragend bis dorthinaus. Nacht für Nacht gibt's um 23.58 Uhr die Nationalhymne, Intendanten waren Recken wie Reinhard Appel und Edmund Gruber, und überhaupt wurde er 1962 ins Leben gerufen als Waffe im Kalten Krieg.

Neben seiner Aufgabe, von Köln aus ein prima Bild der Wunderrepublik in alle Welt zu schicken (bis 1975 nur auf Mittel- und Langwelle), sah es der DLF immer als Auftrag an, die DDR informationsmäßig mit dem Nötigsten zu versorgen, um das Informationsmonopol der SED zu brechen“ (DLF).

Dort wurde das offiziellerseits als Propaganda mit Störsendern bekämpft, im Volk gab es aber eine geradezu sentimentale Beziehung zum DLF. Heute hören in Sachsen immerhin 8,6 Prozent täglich diesen Sender. Sicher auch, weil er so überaus unflott bzw. unaufgeregt und kompetent daherkommt.

Von fünf Uhr früh an bringt der DLF jede halbe Stunde Nachrichten, zur vollen Stunde die Langversion (10 Minuten) oder fünf Minuten plus Presseschau („der Ofterschwanger Kurier meint zum Kanzlerbesuch...“).

Informationssendungen und Magazine lösen sich ab, unterbrochen von kürzeren Konzerten zu Zeiten, da alle guten Menschen bei der Arbeit sind. 11.35 Uhr Umwelt und Landwirtschaft, 13.35 Uhr Wirtschaft, 16.10 Uhr Büchermarkt, 16.35 Uhr Forschung, 17.30 Uhr Kultur, und immer wieder die beliebten Reiserufe!

Die Nacht bringt Kultur, Sport, mal ein Hörspiel, montags Rock, mittwochs Neue Musik, am Freitag Jazz, und um 0.05 Uhr nochmal reichlich „Kultur vom Tage“.

Was man in Bremen nicht merkt, sind die enormen wiedervereinigungsbedingten Umstrukturierungen in und um den DLF, der 1992 vom Bundesfunk zu einer dieser beliebten Körperschaften öffentlichen Rechts in Länderhand mutierte – als Gemeinschaftseinrichtung von ARD und ZDF. Seitdem gibt es als Superstruktur ein sogenanntes Deutschland-Radio, in dem der DLF, der RIAS Berlin und der Deutschlandsender Kultur zusammengefaßt sind.

Bis ersten April ist Deutschland-Radio ein Provisorium, in dem um Strukturen und Arbeitsplätze entsetzlich gestritten wird. Im Verwaltungsrat sitzen ARD, ZDF, Bund und Länder, Interimsintendant ist der ZDF-Intendant Stolte. Als kommissarischer Chef sitzt dem DLF Detmar Cramer vor.

In dieser Woche konstituiert sich der Rundfunkrat, der dann auch den Intendanten wählt: voraussichtlich Ernst Elitz, Chefredakteur des Süddeutschen Rundfunks, bekannt als Kommentator in den „Tagesthemen“.

Für den einfachen Bremer Hörer ist dieses Gezerre weniger wichtig: der DLF bleibt als „Informationssender“ in Köln und wie er ist, in Berlin dagegen hört man künftig Deutschland-Radio im engeren Sinne als Kulturkanal für politisch Interessierte (leider im Westen nicht zu empfangen). Viel wichtiger ist, daß der DLF so frei von Werbung ist, daß es einem die Tränen in die Augen treibt.

Bleibt die Frage, was aus dem Preis wird, den der DLF der Bremer Landesmedienanstalt bezahlen muß für die Frequenz: Morgens und nachmittags müssen nämlich einige Sendestunden an einen lokalen Anbieter abgetreten werden, der hier einen über Werbung finanzierten Lokalfunk machen will. Ob sich dieser Anbieter überhaupt findet, ist allerdings fraglich: Für das „lokale Fenster“ sind werbemäßig ausgesprochen unattraktive Sendezeiten geplant.

Noch fraglicher aber ist: Was würden die HörerInnen sagen? Was würden die FAZ-LeserInnen sagen, wenn an ihrer Leibpostille – sagen wir – der taz-Lokalteil hinge??

Burkhard Straßmann

Wenn die LeserInnen mit der Stationstasten-Programmierung jetzt ihre Bedienungsanleitung gefunden haben: DLF, rund um die Uhr auf 107,1 MHz

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