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Lieber reden als den Knüppel schwingen

■ Immer mehr Frauen ergreifen den Beruf der Ordnungshüterin / Sind sie die besseren Polizisten? Von Kai von Appen

Wenn am 1. Februar der polizeiliche Nachwuchs in die Alsterdorfer Polizeikaserne einrückt, wird mancher dumm gucken: 28 der 112 Anwärter sind nämlich Frauen. Im vorigen Herbst waren sogar 43 Prozent der Frischlinge weiblich. Frauen sind dabei, endgültig die Männerdomäne Polizei zu knacken.

Streifenfahrt: Über Funk gibt die Einsatzzentrale einen Raub bekannt: „Überfall auf Imbiß im Heußweg, soeben gewesen, zwei Täter, flüchtig in Richtung ....“ Mehrere Peterwagen jagen zum Einsatzort. In einer Nebenstraße treffen „Peter 22/4“ und „Peter 23/2“ auf das gesuchte Duo. Die beiden Männer laufen in einen Torweg. Reifen quietschen, Türen knallen. Zwei Unifomierte nehmen die Verfolgung auf.

Die Jagd geht über mehrere Hinterhöfe, die beiden „Bullen“ sind den Flüchtigen dicht auf den Fersen. Plötzlich versperrt eine Mauer den Weg: Die Männer versuchen noch, sich über das Hindernis zu hieven. „Halt, stehen bleiben, Polizei“, schallt es durch den Hof. Sekunden später werden beide gepackt, an die Mauer gepreßt, in den Polizeigriff genommen und mit Handschellen gefesselt. Als sich die Festgenommenen wieder aufgerappelt haben, trauen sie ihren Augen nicht. Vor ihnen stehen zwei Frauen. Die beiden „Bullen“ sind „Bulletten“.

Geiselnahme: Ein Russe hat den kleinen Sohn eines Landmannes entführt, von dem er Geld erpressen will. Er wartet mit dem Kind auf einem belebten Platz auf die Übergabe. Das Mobile Einsatzkommado (MEK) hat die Aufgabe, den Kleinen möglichst schnell aus der Gewalt des Geiselnehmers zu befreien, deshalb soll der „Zugriff“ noch vor Ort erfolgen. Zwei Beamtinnen werden ausgeguckt, sich dem Geiselnehmer in ziviler Kleidung unauffällig zu nähern. Es klappt: Die beiden gelangen dicht an den Mann, ohne daß er mißtrauisch wird.

1993 waren 38 Prozent der Polizeineulinge Frauen

Dann geht's Schlag auf Schlag. Die eine MEKlerin streckt den Entführer mit einem Kampfsporttritt nieder. Die andere springt Augenblicke später auf den Rücken des Mannes, drückt ihn mit den Knie zu Boden, dreht seine Arme auf dem Rücken. Als die ersten männlichen Kollegen eintreffen, ist der „Zugriff“ bereits beendet. Kein Fernsehkrimi, sondern Realität in Hamburg.

Knapp 5000 Männer und Frauen haben sich im vorigen Jahr bei der Hamburger Polizei beworben. Von den 267 AnwärterInnen, die 1993 in den Polizeidienst aufgenommen worden sind, sind 103 Frauen - immerhin 38 Prozent. Während noch vor zehn Jahren die Einstellung einer Frau die Ausnahme war, gehen die EinstellungsberaterInnen mehr und mehr dazu über, Frauen zu „bevorzugen“. Das unter anderem deshalb, weil sie ein wesentlich „spezifischeres Berufsbild“ haben als ihre männlichen Konkurrenten. Einstellungsberaterin Gudrun Bhala zur taz: „Frauen haben konkretere Berufsvorstellungen. Sie haben sich vorher informiert, wissen schon über vieles Bescheid.“ Bei den Einstellungstests verfügen Frauen oft über die besseren Deutschkenntnisse, eine nicht unwesentliche Voraussetzung für das Abfassen von Berichten. Und sie haben ein besseres Kurzzeitgedächtnis. Bahla: „Das ist sehr wichtig, denn oft können die Berichte nach einem Einsatz erst Stunden später auf der Wache geschrieben werden.“

Im Gegensatz zu Männern, die im Polizeiberuf oft das Abenteuer mit einem Flair von Schimanski oder Peter Strohm suchen, sind Frauen „zielgerichteter“, so Gudrun Bhala. So streben viele Bewerberinnen an - ob als Schutzpolizistin oder später als Kriminalbeamtin -, Gewalt gegen Frauen und Kinder zu bekämpfen. Frauen hätten oft mehr Einfühlungsvermögen, könnten schlichtend wirken und ättben einen „ausgeprägteren Gerechtigkeitssinn“.

Die Fernseh-Polizistin dient einigen als Vorbild

Die „soziale Komponente“ war auch der Beweggrund für Monika Kramer (Name geändert), als sie vor fünf Jahren zur Polizei ging. Sie versieht derzeit ihren Revierdienst. „Nach ein paar Jahren Schutzpolizei möchte ich zur Kripo - am liebsten zum LKA 213“, so die 26jährige. Das ist die Fachdienststelle für Sexualdelikte.

Das wachsende Interesse von Frauen Polizeiberuf hängt nach Auffassung der Einstellungsberaterin auch mit Jürgen Rolands TV-Serie „Großstadtrevier“ zusammen, in der Mareike Carriere als Polizistin Ellen Wegner selbst komplizierte Kripo-Fälle knackt. Bhala: „Manche Frau fragt sich: warum soll ich das nicht auch werden?“.

Vor nicht allzu langer Zeit war das noch anders: Hamburg war zwar das erste Bundesland, das 1979 Frauen bei der Schutzpolizei aufnahm, doch zunächst wurde die „zarten Kolleginnen“ gehegt und gepflegt. Erst 1982 setzte sich, und dann auch bundesweit, die Erkenntnis durch, daß Polizistinnen auch für knifflige und gefährliche Einsätze voll und ganz tauglich sind. Ein Hamburger Hundertschaftsführer zur taz: „Ich habe lieber eine plietsche Deern in meiner Hundertschaft, als so'n Durchhänger.“ Zumindest solange es keine „Zuckerpuppe“ sei. Ein Kollege fügt hinzu: „Frauen sind motiviert und leistungsfähig. Was sie nicht an Körperkraft aufbringen können, machen sie durch Geschicklichkeit wieder wett.“

Mittlerweile ist Frauen selbst der Zutritt zu Spezialeinheiten nicht mehr verwehrt - zumindest im begrenzten Umfang. Sie versehen in Hamburg sowohl beim MEK ihren Dienst, werden bei Demos in Festnahmetrupps eingesetzt oder im Bereich der Organisierten Kriminalität als Under-Cover-Agentinnen eingeschleust. Teilweise sind sie auch als Bodyguards zum Personenschutz abkommandiert.

Trotzdem haben Frauen immer noch gegen das Patri-archat zu kämpfen: Obwohl der Hamburger Senat im Herbst in der Antwort auf eine Anfrage einer SPD-Abgeordneten beteuerte: „Frauen und Männer sind gleichermaßen für den Polizeivollzugsdienst geeignet“, haben die „Kolleginnen“ bei Beförderungen oft das Nachsehen. So sind in Hamburg laut März-Statistik 1993 - die 94er Zahlen liegen noch nicht vor - bei der Schutzpolizei nur 522 (9,63 Prozent) und bei der Kripo nur 68 (8 Prozent) Frauen im mittleren Dienst eingesetzt, 42 Frauen (3,67 Prozent) bei der Schutzpolizei und 55 Frauen (13,25 Prozent) bei der Kripo im gehobenen Dienst. Im höheren Dienst gibt es bei der Schutzpolizei keine Frau, bei der Kripo ist lediglich eine Beamtin mit Führungsaufgaben betraut.

Und auch von den männlichen Kollegen werden Polizistinnen oft nicht ernst genommen. So müssen sie sich Männersprüche anhören wie: „Bei einer Schlägerei möchte ich nicht mit einer Frau 'rausfahren.“ Die Angst der Männer bei weiblicher Begleitung schlägt sich bei der Bereitschaftspolizei in Form einer Anweisung nieder: So dürfen in einer Hundertschaft nur 24 Frauen - sechs pro Zug - eingesetzt werden.

Obwohl es keinerlei Dienstvorschrift gibt, daß zwei Frauen nicht zusammen Streife fahren dürfen, wird in der Regel einer Beamtin stets ein Mann an die Seite gesetzt. Das habe aber, so ein Polizeisprecher, auch damit zu tun - da es bis vor einiger Zeit wenig Frauen bei der Polizei gab -, daß Mann nicht unnötig feminines Potential verschwenden möchte. Im Klartext: Wenn nur zwei Frauen pro Schicht im Revierdienst tätig sind, hat Mann gern eine Beamtin für alle Fälle auf der Wache.

Ausnahmen bestätigten die Regel: Manfred Mahr, Beamter beim Jugendschutz, Ex-Sprecher der Arbeitsgemeinschaft kritische PolizistInnen und früher Reviereinsatzführer an der Wache Silcherstraße: „Wir haben öfter unsere beiden Kolleginnen zusammen in einem Wagen auf Streife geschickt. Die Kollegen haben zwar dumm geguckt, und auch mancher Bürger hat ein blödes Gesicht gemacht, aber im Ganzen gesehen war das sehr erfolgreich.“ Es habe nie Probleme gegeben, im Gegenteil: „Die haben ihre Aufgaben oft viel besser erledigt als Männer“, so Mahr.

Auch Manfred Mahrs kritische Kollegin Doris Holzinger aus Hannover räumt in einem „Emma“-Interview mit dem alten Vorurteil auf, Frauen seien bei prekären Einsätzen überfordert. Holzinger: „Bei Schlägereien kannst du durch Gespräche destabilisierend wirken. Du gehst in die Kneipe rein, unterhältst dich ganz gelassen mit den Leuten, und die hören auf.“ Es sei nicht notwendig, gleich Kampfstärke zu demonstrieren und herumzuschreien oder den Knüppel zu schwingen.

„Wenn du Pornos nicht geil findest, bist du außen vor“

Trotz aller Erfolge und Anerkennung: Auch bei der Polizei müssen sich Frauen sexueller Belästigungen erwehren. So ist es fast normal, daß in den Aufenthaltsräumen der Beamten „Pinup-Bilder“ hängen oder in Pausen Pornohefte die Runde machen. Doris Holzinger: „Wenn du nicht über zweideutige Witze lachst und Pornos nicht geil findest, bist du außen vor. Viele Frauen machen mit, um akzeptiert zu werden.“

Auch persönliche Anmachen mußte Doris Holzinger über sich ergehen lassen. Nach dem Motto: „Die muß doch nur mit dem Ausbilder ins Bett gehen, und schon läuft's.“ Ein anderes Beispiel: Als eine junge Polizistin Handzettel einer Selbsthilfegruppe für vergewaltigte Frauen in Diensträumen auslegte, so Holzinger in der Emma, seien sie zerrissen worden. Und als sie ein Plakat „Gewalt gegen Frauen“ aushängte, war es am nächsten Tag umgetextet worden: „Gewalt gegen Sauen.“

Auf dem Revier von Monika Kramer hält sich die sexuelle Belästigung nach ihren Angaben in Grenzen: „Anfangs gab's mal dumme Anmachen. Gerade wenn man im Minirock zum Dienst erschien“, berichtet die 26jährige: „Das hat sich dann gegeben. Ich hab den Typen gesagt, daß sie die dummen Sprüche unterlassen sollen. Das sind aber immer nur einzelne, die ein solch frauenverachtendes Weltbild haben.“

Ärgernis Frauenklo - in Hamburg elegant gelöst

Aber auch in den Führungsetagen der Polizei müssen Doris Holzingers Geschlechtsgenossinnen mit Widerstand rechnen: So zieht die Polizeiführung in einem Sonderheft der „Bereitschaftspolizei Heute“ zum Einsatz von Frauen zwar grundsätzlich ein positives Resümee. Doch selbst hier fehlt nicht der ketzerische Beitrag. So beschwert sich Polizeihauptkommisaar Karl-Heinz Dziony aus Hanau ganz im Stil eines Handwerksmeisters, der sich über die Kosten für ein zweites Klo ärgert: „In den Polizeiunterkünften begann zunächst das Trennungsverfahren. Zimmer, Duschen, Toiletten... alles mußte getrennt werden und vor allem die Männer von den Frauen. Dann rückten sie in die Unterkünfte ein, mit jener Energie, die Frauen nunmal zueigen ist und dem Drang, es den Männern zu zeigen.“ Und weiter: „Als nächstens geschah ein ganz wichtiger Schritt der weiblichen Unterwanderung der Polizei: Es wurde ein Heer von Frauenbeauftragen installiert. Die wußten alle nicht so recht und wissen es heute noch nicht - was sie tun sollen. Um darüber nachdenken zu können, wurden sie ganz oder teilweise freigestellt, dann denkt es sich besser“.

Doch der Vormarsch des Feminats in der Männerdomäne Polizei ist nicht mehr zu stoppen. Das hat auch die Industrie, die die Polizeiausrüstung liefert, längst erkannt. So gibt es nicht nur Einsatzstiefel in den Größen 37 bis 39 oder den vom Designer entworfenen Uniformrock - zumindest im Innendienst eine Alternative zur unförmigen Männer-Uniformhose -, sondern es wurden auch spezielle frauengerechte Schutzwesten entwickelt. Und mittlerweile ist ein Helm im Handel, unter dem auch lange Haare Platz finden.

Und noch ein wesentliches Problem ist zumindest von der Hamburger Bereitschaftspolizei gelöst worden. Weil Frauen nicht wie ihre männlichen Kollegen bei langen Einsätzen mal eben ungeniert an einen Baum pinkeln können, wurde eigens für Großeinsätze ein Toilettenwagen gebaut. Und das Gefährt Marke Eigenbau (Kosten: 8000 Mark) verfügt sogar über einen Schmink-Spiegel, der nach einem hektischen Großeinsatz gern von manch outfit-bewußten Beamtin genutzt wird.

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