piwik no script img

Druck hinter Gittern

■ In der JVA-Bildungstätte gründet sich eine neue Zeitung / Werben für freien Vollzug

Er könnte in einer Woche zur Bewährung aus dem Knast entlassen werden, aber Andr Kellermann bleibt. Er hat sich mit dem Leben im Gefängnis arrangiert. Am 4. Februar hat er zwei Drittel seiner Strafe abgesessen, für viele Gefangene bedeutet dieser magische Zeitpunkt die Rückkehr in die Freiheit. „Ich mach' lieber hier drinnen eine Ausbildung mit, als draußen das autoritäre Gehabe eines Bewährungshelfers zu ertragen“, sagt der 25jährige. Er sitzt vor einem Computer. Zusammen mit Olaf Rosin, einem Mitgefangenen, arbeitet er an der neuen Gefangenenzeitung Pro, die im Februar zum ersten Mal erscheinen soll.

Zwischen den Regenwolken ist kurz die Abendsonne zu sehen, sie beleuchtet das nasse Gitter am Fenster. Beim Westfalenblatt in Bielefeld habe er erste Erfahrungen als freier Mitarbeiter gemacht, erzählt Andr Kellermann. Aber das war lange vor seiner Festnahme. Mit einer schnellen Handbewegung faßt er sich an die Stirn, es sieht aus, als wolle er die Erinnerung wegwischen. In der U-Haft in Osnabrück hat er dann ein Jahr bei der Knastzeitung Funke II mitgemacht, dadurch sei ihm die Idee zur Neugründung von Pro gekommen.

„Das Projekt soll keine reine Gefangenenzeitung werden, sondern eine Zeitschrift für den Strafvollzug“, schreibt die Redaktion in einem Entwurf für das Vorwort. Der Landesökofond der Grünen, eine Drukkerei aus Sachsen-Anhalt und ein Computer-Laden haben für die neue Zeitung unterstützt, die Anstalt hat für die Redaktion einen Raum frei gemacht.

Pro will sich dafür bedanken. „Der Ruf der JVA-Bildungsstätte ist in den übrigen Gefängnissen zu unrecht lädiert“, sagt Andr Kellermann. Seine Zeitung wolle auch Werbung für diese freiere Form des Strafvollzuges machen. „Die Leute, die mit der Bildungsstätte zufrieden sind, verlieren draußen den Kontakt zur Knastszene. Wer hier dagegen Schwierigkeiten hatte, wegen Drogen oder sonstwas, erzählt nur das Schlechte, wenn er zurück in den normalen Vollzug muß“, sagt er.

Der Anstaltsleiter hat das neue Zeitungsprojekt vor zwei Wochen genehmigt. Die Anträge von Häftlingen, die in die Bildungsstätte verlegt werden wollen, sind in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Michael geht nächste Woche zurück in den normalen Vollzug. „Gegenüber woanders ist das hier zwar ein Hilton- Hotel, aber man hat nicht seine Ruhe“, sagt er. Seine Unterarme sind voll mit Tätowierungen, Drachen, Dolche und Buchstaben. Er steht in seiner Zelle, nimmt Postkarten von der Wand und packt sie ein.

„Wir wollen mit den Bildungsangeboten das Selbstwertgefühl der Häftlinge heben und ihre Berufschancen nach der Strafe verbessern“, so Götz Bauer, Leiter der JVA Hannover. Das Bildungsangebot sei im Vergleich zu anderen Bundesländern in Niedersachsen einmalig, die Inhaftierten können während ihrer Zeit hinter Gittern Schulabschlüsse nachholen und Handwerksberufe lernen. „Wir suchen uns deshalb die Gefangenen aus ganz Niedersachsen aus“, sagt Götz Bauer. Es gebe aber immer mehr Drogenhäftlinge, und diese hätten oft keinen Willen, zur Schule zu gehen.

„Die Ausbildung bei uns ist intensiver als in der freien Wirtschaft. Bier holen als Aufgabe für die Lehrlinge fällt ja ganz weg.“ Ernst- Peter Meyer bildet in der JVA Tischler aus. Die Prüfungen finden außerhalb statt, damit das Zeugnis nicht später einmal die Stellensuche erschwert. Er ist stolz auf seine Schüler, jedes Jahr werden einige seiner Gesellen von der Handwerkskammer für besonders herausragende Leistungen ausgezeichnet.

Eine Frage allerdings kann er weder sich noch seinen Lehrlingen beantworten: Warum werden die Gefangenen nicht einigermaßen vernünftig entlohnt und warum sind sie nicht rentenversichtert? Zwischen 9,41 DM und 10,54 DM verdienen die Häftlinge am Tag für ihre Arbeit.. Aber nicht nur die Gefangenen, auch die Ausbilder bekommen im Knast wenig Geld. Ernst-Peter Meyer: „Mancher Ausbilder in der JVA geht als Familienvater mit 2.600 Mark Netto nach Hause, das kann so nicht weitergehen.“

Konrad Baer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen