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Von stofflicher Disharmonie

Die siebte Modemesse für Gläubige: Die Preise gingen an „3 Hemden“, „Next G+U. R+U. Now“ und Jörg Pfefferkorn / Ein Rückblick auf die AVE  ■ Von Petra Brändle

Bis zur Gänsehaut feierlich erklingt das raumerfüllende „Ave Maria“ aus den Nebelschwaden. Die „Modemesse für Gläubige“ eröffnet stilgemäß. Doch wie alle Glaubensgemeinschaften unseres Kulturkreises leidet auch diese an schwindender Glaubwürdigkeit. Was bedeutet heute schon „Off- Mode“? Wo ist die Innovation, die glaubensintegrierende Provokation? Die Glocken schlagen es längst von allen Laufstegen: Anything goes! Eine Off-Modemesse nach der anderen fiel deshalb dem Massengeschmack und Kommerz zum Opfer, mit ihnen verschwanden die exzentrischen Macherinnen und Macher aus dem (halb-)öffentlichen Bewußtsein. Auch die AVE-Initiatorin Gaby Heimberg, ihr Bruder Kai und ihr Kompagnon Arne Voh beklagen im Presseinfo diese Umstände, sehen ihre Messe jedoch als rühmliche, einzig noch existierende Ausnahme unter den Off-Messen und versahen sie flugs mit einer strategisch aufklärerischen Politik. Von „neuen Impulsen“ und einer Bewußtseinserweiterung für Form und Bekleidung ist die Rede. Ihr Credo erinnert dezent an einen Bundesverfassungsgerichtsspruch zu öffentlich-rechtlicher Programmgestaltung: „In erster Linie geht es also um ein Präsentationsforum der Ideenvielfalt und die Vermittlung eines kulturellen Auftrags.“ Großherzig tragen sie auch die „Verantwortung der Messeorganisation“ für „tragbare Rahmenbedingungen“. Freilich, von schwindender Gläubigerzahl ist an hohen Feiertagen selten etwas zu sehen, und so herrscht ein dichtes Gedränge vor dem von Jim Avignon berauschend gestalteten Altar. Dem Outfit nach zu urteilen, sind jedoch nur wenig überzeugte Off-Mode- Gläubige anwesend. Jeans und Anorak dominieren, 70er-Jahre- Fummel und Adidas-Styling sowie witzige Accessoires lockern das Bild auf. Ausgefallen gekleidet sind allein die vier Männer, die sich in derben (Schotten-)Röcken samt Bergschuhen und Wollsocken unter die Menge mischen. Doch von wegen Off-Mode: Sie folgen dem neuesten Trend zum Männerminirock, den „Versace“ und „Dolce & Gabbana“ diktieren.

Wenig wirklich Aufsehen erregend Neues auch auf dem AVE- Laufsteg! Dafür erblicken die Gläubigen um so mehr gängige Wickelröcke und Glockenschnitte in Smog-gedämpften Farben, während sportive Polyesteranhäufungen mit natürlichen Seidenschwingungen (besonders schwingend: Entwürfe von „3 Hemden“) und klaren Leinenlinien konkurrieren. Schönste Beispiele für selbstbewußt unprätentiöse Naturlinien bleiben die Entwürfe vom „Salon Karl Faktor“, deren Eleganz wenig mit Off-Mode zu tun hat und prompt vom leicht plumpen Moderatoren übersehen wurde. Auch die „NIX“-Modelle bestechen durch diese feinsinnige Eleganz, zeigen jedoch mit Reißverschlüssen, grauen Plüschbesätzen und Fischgräten-Siebdruck (aus der Kollektion „Nicht Fisch, nicht Kleid“) einen stärkeren Hang zum Dekor.

Nach dem Defilee der 20 Kollektionen und einer einzigen herrausragenden Präsentation (siehe Kasten auf S. 39) neigt das analysierende Bewußtsein schnell dazu, Off-Mode als Mode aus dem letztjährigen Modekatalog oder aber als Variation der Flohmarktadaption definieren zu müssen. Das Motto: Doppelt recycelt hält länger. Dieser Idee hatte sich auch der dritte Preisträger Jörg Pfefferkorn verschrieben – so sehr sogar, daß er sich die grün-schwarzen Recycling-Pfeile auf das kurzgeschorene Nackenhaar zeichnen ließ. Seine Jackenkreationen jedoch haben mit abgestandener Ideen-Wiederverwertung nichts gemein: Groß blicken die auf die Stoffe fotokopierten Augen Audrey Hepburns in die begeisterte Menge. Das sind einfach Augen, mit denen man sich gerne zeigt.

Weniger ideenreich sind allerdings manch andere Entwürfe, so die von „H & M“ allzubekannten Jeanskleider mit farblich abgesetzten Doppelnähten, Schlauchstrickkleider und Blockstreifenpullis. Nach der Hommage an den Weddinger Flohmarkt (von Gaby Heimberg und Lilly Runje) drängt sich der Eindruck auf, Off-Mode sei entweder lustvolle Spielerei (u.a. auch von den Neulingen wie z.B. Evelyn M. Scherber betrieben) oder einfach die gnadenlose Kombination ästhetisch miteinander auf Kriegsfuß stehender Materialien. Rostorange Flauschhäkelei auf/unter/ neben und mit dunkelblauem durchsichtigem Flatterstoff mag vielleicht neu sein, durchsichtig aber ist dabei stets das zwanghafte Erfinden der Provokation, des eigentlich Untragbaren.

Wo also neue Wege auf dem Schnittmuster gesucht werden, da geschieht dies mit solch' brachialem Willen, daß Kleid und Kostüm völlig aus dem Gleichgewicht geraten. „Stars in Stripes“ ist dafür ein weiteres Beispiel. Die sauber gearbeiteten grünroten Samtkreationen von „Nanna Kuckuck“ sind zwar eigenwillig asymmetrisch und zusammen mit den durchsichtigen, glitzernd bestickten Rüschenblusen ein Blickfang. Ihre um den Körper geschlungenen Samtbänder und die Shorts mit bodenlangen breiten Bändern (mehrfach hochgeschlitzte Samthosen also) erinnern jedoch stark an Verpackungsmethoden, die von fehlendem Inhalt ablenken müssen.

Doch sieht man über den im Ansatz bereits nicht einzulösenden Avantgarde-Anspruch hinweg, so entdeckt man auf dem Laufsteg durchaus einige kreative „Bonbons“. Bettina Kredlers Entwürfe, passend zum Berliner Wetter in tristen Schmutzfarben, reizen zum Auspacken: Klettverschlüsse an den Ellenbogen und Knien ihrer Großstadtcowboys bieten unerwartete Einblicke. Genauso wie die bis an den Nackenansatz oder zwischen die Brüste hochgeschlitzten Kleider von „Thatchers“. Deren Kollektion übrigens ist in schlicht blauem Hauskittelkarodesign gehalten und besticht dennoch – oder gerade deswegen. Genauso gewagt rufen sie mit ihren orangen Querstreifen auf braunen „Plastik“-Minishorts die Erinnerung an biederste DDR-Armeesportklub-Bekleidung wach.

„Next G+U. R+U. Now“ (ehemals „Get Ugly“) indes erfand das wenig strapazierfähige, dafür unbedingt zauberhafte Clubwear- Outfit für die Techno-City: Schmusebedürftige Raver umgeben sich künftig am besten mit hauchdünnen Mull- oder Watteline-Träumen. Mutigere Damen können sicherlich den gewagten Riesen- BHs, die mit den Eisenbügeln nach außen über dem Adidas-Kleid getragen werden, kaum widerstehen.

Nach der Show bleibt ein Mosaik stofflicher Kreativität im Gedächtnis, doch die „Idee“ einer „Off-Mode“, die die AVE vermitteln wollte, bleibt diffus. Der kleinste gemeinsame Nenner der Off- Mode muß sich wohl auf immer auf das charakteristische Low-Budget- Kriterium beschränken. In diesem Sinne wäre es schön, wenn den Models künftig wenigstens zwei, vielleicht auch drei Proben für die Laufsteg-Präsentation gegönnt würden.

PS: Die AVE-Preisträger sind „3 Hemden“ (1.500 DM), „Next G+U. R+U Now“ (1.000 DM) und „Jörg Pfefferkorn“ (500 DM).

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